Mittwoch, 9. November 2011

D: Sinkende Reallöhne nachgewiesen

Die Firmen knausern, die Deutschen verlieren an Kaufkraft: Laut einer Studie ist das durchschnittliche Monatseinkommen im vergangenen Jahrzehnt real um 93 Euro geschrumpft. Der Trend hält an - und das liegt nicht nur am Billiglohn-Boom.

Es ist die Kehrseite einer Erfolgsgeschichte: Zwar ist Deutschland besser durch die jüngste Krise gekommen als jedes andere europäische Land. Der Arbeitsmarkt boomt, den Firmen fehlen sogar Lehrlinge. Doch von den Erfolgen haben die Arbeitnehmer wenig gehabt: Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, dass die Löhne im letzten Jahrzehnt geringer stiegen als die Inflation, also die Lebenshaltungskosten. Betroffen sind nahezu alle Einkommensgruppen.

Laut den DIW-Berechnungen konnten lediglich die obersten zwei Zehntel der Beschäftigten ein leichtes Plus bei den realen Bruttomonatslöhnen verzeichnen. Im Durchschnitt gingen diese im vergangenen Jahrzehnt um 4,2 Prozent zurück (siehe Tabelle). Das heißt: Im Schnitt hatten die Deutschen pro Monat 93 Euro weniger in der Tasche. Auch die um die Inflation bereinigten Stundenlöhne stagnierten im letzten Jahrzehnt (siehe Bilderstrecke). Laut Karl Brenke, dem Co-Autor der Studie, ist keine grundsätzliche Änderung des Trends absehbar. Zwar hätten Arbeitnehmer im zweiten Quartal 2011 verstärkt Lohnerhöhungen durchsetzen können. "Aber der größte Teil davon sind Einmalzahlungen, der Trend nach oben bleibt schwach."

Warum schrumpfen Reallöhne selbst in Zeiten des Aufschwungs? Eine mögliche Erklärung ist, dass Arbeitgeber zunehmend Niedriglöhne zahlen. Tatsächlich hat der Niedriglohnsektor laut den Autoren bis 2006 an Bedeutung gewonnen, entsprechend entwickelten sich die Löhne von Geringverdienern bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts besonders schlecht.

Doch das kann nicht die ganze Erklärung sein. Denn in den vergangenen Jahren wuchs der Niedriglohnsektor kaum noch. Stattdessen mussten laut der Studie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts "fast alle Arbeitnehmer real sinkende Monatsverdienste hinnehmen, nur die Höchstverdiener nicht". Die Lohnentwicklung sei für Frauen wie für Männer ungünstig gewesen, bei Vollzeitstellen ebenso wie bei Teilzeitkräften und sowohl bei einfacher Arbeit als auch bei Tätigkeiten, die ein Studium voraussetzen.

Dieser breite Trend lässt sich den Autoren zufolge auch nicht mit einer Veränderung der Beschäftigungsstruktur erklären - im Gegenteil: Ohne die gestiegenen Anforderungen an die Qualifikation von Arbeitnehmern wären die Löhne vermutlich noch schlechter ausgefallen. Der Hauptgrund für die Entwicklung ist den Forschern zufolge ein anderer: Entscheidend sei gewesen, "dass es flächendeckend zu keinen Lohnanhebungen kam". Anders gesagt: Die Arbeitgeber waren zu knauserig, die Beschäftigten zu bescheiden.

Diese Zurückhaltung bei Löhnen gilt freilich auch als entscheidender Grund dafür, dass Deutschland in den vergangenen Jahren wettbewerbsfähiger wurde und die Krise vergleichsweise gut bewältigte. DIW-Forscher Brenke hält die Konkurrenz aus dem Ausland aber für kein generelles Argument gegen Lohnerhöhungen. "Schließlich stehen nicht alle Branchen im internationalen Wettbewerb."

Zudem führt die bescheidene Entwicklung der Reallöhne laut Brenke zu einer Schwächung des privaten Konsums in Deutschland. Den wiederum kritisieren zunehmend andere EU-Länder. Denn der schwache Konsum in Deutschland gilt als ein Grund dafür, dass es innerhalb Europas zu großen wirtschaftlichen Ungleichgewichten kam. Anders gesagt: Hätten die Deutschen mehr Waren aus dem Ausland gekauft, stünden Griechenland, Portugal und Co. zumindest ein wenig besser da.

Quelle: David Böcking / Spiegel Online

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Mittwoch, 14. September 2011

Wie Finanzsektor Politik erpresst

Die Politik wähnte sich mächtig, als sie vor drei Jahren die US-Investmentbank Lehman Brothers pleitegehen ließ. Ein fataler Irrtum. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie sehr das Wohl der Staaten an ihren Banken hängt - und dass Regierungen den Märkten nur hinterherhecheln. Gerade jetzt in der Euro-Krise. Eine Spiegel-Online-Analyse.

Henry Paulson muss sich stark fühlen an jenem 15. September 2008. Der US-Finanzminister hat eine schwere Entscheidung zu treffen: Zweimal ist er bereits mit Staatsgeldern eingesprungen, um strauchelnde Banken zu retten: bei der Investmentbank Bear Stearns sowie bei den Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac. Nun steht Lehman Brothers vor der Pleite - die viertgrößte Investmentbank an der New Yorker Wall Street. Keiner der Konkurrenten will das Institut übernehmen. Nur noch Paulson kann helfen.

Der Minister war früher selbst Chef einer Investmentbank. Erst vor kurzem ist er von Goldman Sachs auf die Seite der Politik gewechselt. Nun will er ein Zeichen setzen: Die Regierung ist stärker als die Finanzwelt. Sie hat es in der Hand, einen Giganten wie Lehman Brothers zu retten oder ins Verderben zu schicken. Paulson lässt die Bank fallen. Die Pleite von Lehman Brothers sollte eine Machtdemonstration der Politik werden - am Ende wurde daraus das Eingeständnis ihrer Machtlosigkeit.

Paulsons fatale Entscheidung liegt nun drei Jahre zurück. Doch sie bewegt die Finanzwelt bis heute. Denn das, was nach Lehman kam, war eine ökonomische Katastrophe: Die halbe Weltwirtschaft erstarrte vor Schreck. Banken in Europa und den USA liehen sich untereinander kein Geld mehr. Um ein noch größeres Desaster zu vermeiden, mussten die Staaten gleich reihenweise mit Steuergeldern einspringen. Die Volkswirtschaften der westlichen Welt stürzten in die Rezession. Und die Staaten türmten enorme Schuldenberge auf - eine der Hauptursachen für die aktuelle Euro-Krise und die Haushaltsmisere in den USA.

Vor allem aber ist seit Lehman klar: Viele Banken sind so groß, dass die Regierungen sie nicht pleitegehen lassen können. Im Umkehrschluss hieß das: Die Finanzriesen haben eine Überlebensgarantie. Die Politik ist erpressbar. Seitdem wurde viel geredet. Über das "Primat der Politik", das es wiederherzustellen gelte. Eine "Ära der Verantwortungslosigkeit" werde beendet, jubelte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem der vielen internationalen Krisengipfel. Doch geschehen ist seitdem wenig.

Drei Jahre nach der Lehman-Katastrophe kündigt sich das nächste Bankenbeben an. Wie damals trauen die Geldhäuser sich gegenseitig nicht mehr über den Weg - und auch die Investoren haben die Zuversicht verloren: Seit Anfang August rauschen die Aktienkurse nach unten. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sieht sich bereits an den Herbst 2008 erinnert. Die Politik hat es versäumt, sich aus ihrer Abhängigkeit von der Finanzwelt zu lösen. Noch immer sind die Banken "too big to fail" - zu groß, um pleitezugehen. Auch deshalb müssen die Regierungen Europas all die Hilfspakete für Griechenland, Portugal oder Irland schnüren: Um ihre eigenen Banken zu retten, die haufenweise Staatsanleihen der Krisenländer in ihren Bilanzen haben.

Die Euro-Krise zeigt besonders deutlich, dass die Regierungen zu Getriebenen der Finanzmärkte geworden sind. Ob Notkredite, Rettungsschirme oder Anleihenkäufe - die Märkte bekommen, was sie wollen. Und die Politik wirkt umso machtloser, je länger sie sich gegen das Unvermeidliche zu sträuben versucht.

Doch wer ist Schuld an der prekären Lage? Stecken hinter den Finanzmärkten böse Mächte, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Politik zu unterwerfen? Schon im Mai 2008, vier Monate vor dem Lehman-Desaster, sprach der damalige Bundespräsident Horst Köhler von den Finanzmärkten als "Monster", das in seine Schranken gewiesen werden müsse. Was Köhler damals weitgehend verschwieg: Die Politik hatte dieses Monster selbst erst gezüchtet.

Deregulierung hieß die Devise von den achtziger Jahren bis zum Jahr 2007: In den USA unterschrieb der damalige Präsident Bill Clinton 1994 ein neues Bankengesetz, das Instituten erlaubte, im ganzen Land tätig zu werden. 1999 hob er die seit mehr als 60 Jahren geltende Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken auf. Hinzu kam seit Anfang der neunziger Jahre eine laxe Geldpolitik der US-Notenbank Fed, die die Finanzwelt mit billigen Krediten fütterte.

Auch Deutschland setzte voll auf die Entfesselung der Bankenbranche: "Die gewaltigen Potentiale des deutschen Finanzmarktes" müssten vollständig ausgeschöpft werden, schrieb das Bundesfinanzministerium noch 2005 auf seiner Internetseite. Dabei rühmte sich das damals noch SPD-geführte Ministerium: "Die Bundesregierung hat es Kreditinstituten erleichtert, Kreditforderungen zu verbriefen" - eine Praxis, die damals in den USA so extensiv betrieben wurde, dass sich daraus zwei Jahre später, im Jahr 2007, die erste Stufe der Weltfinanzkrise entwickelte.

Da war das Monster längst so groß geworden, dass die Politik es nicht mehr einfangen konnte. Von nun an diktierten die Finanzmärkte den Regierungen, was diese zu tun und zu lassen haben. Die Bankenrettungen im Herbst 2008 machten die neuen Machtverhältnisse lediglich für alle sichtbar. Märkte haben keine Moral. Woher auch? Sie bestehen aus einer Masse von Individuen, die alle nach dem für sie größten Gewinn streben. Deshalb darf auch niemand von ihnen erwarten, dass sie moralisch handeln und zum Beispiel freiwillig Griechenland vor der Pleite retten. Es ist vielmehr an der Politik, den Rahmen für die Marktteilnehmer so zu setzen, dass in der Summe kein Schaden für die Allgemeinheit entsteht.

Doch dazu müsste die Politik erst einmal wieder die Hoheit über ihr eigenes Handeln gewinnen. Wie das gehen soll, weiß momentan niemand so recht. Die bisherigen Versuche verliefen ernüchternd: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble setzte im August zwar durch, dass sich private Banken und Versicherungen mehr oder weniger freiwillig am neuen Rettungspaket für Griechenland beteiligen. Doch der Coup droht zum Flop zu werden, wenn die angekündigte Beteiligungsquote von 90 Prozent nicht erreicht wird.

Auch sonst ist die Politik kaum vorangekommen bei dem Versuch, sich von Banken und Finanzmärkten zu emanzipieren. Die geplante Bankenabgabe fällt so niedrig aus, dass sie das Kräfteverhältnis kaum umkehren wird. Und ob die von einigen Ländern Europas angepeilte Finanztransaktionssteuer jemals kommen wird, steht in den Sternen - zu schwierig ist es, so viele verschiedene Staaten politisch auf eine Linie zu bringen.

Um wenigstens ein bisschen Stärke zu demonstrieren, versuchen es einzelne Staaten immer wieder mit hektischen Alibi-Aktionen wie dem Verbot von Leerverkäufen. Doch zähmen können sie die Märkte damit kaum: Obwohl seit August in Frankreich ein Leerverkaufsverbot für Bankaktien gilt, rauschen die Kurse von BNP Paribas oder Société Générale ungebremst nach unten.

Ein wenig Hoffnung macht lediglich die geplante Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften. Um künftige Krisen besser ohne Staatshilfe auffangen zu können, sollen vor allem Großbanken dazu verpflichtet werden, ihr Eigenkapital zu stärken. Ganz ohne staatliche Hilfe werden sie im Notfall aber wohl trotzdem nicht auskommen.

Der nächste Test für das Machtverhältnis zwischen Märkten und Politik könnte der Fall Griechenland sein. Doch bei genauerem Hinsehen ist auch dieser Kampf schon entschieden. Selbst wenn sich Europas Regierungen dazu durchringen sollten, das schuldengeplagte Land pleitegehen zu lassen, dürfte dies ein Sieg für die Finanzwelt sein. Durch die Rettungspakete von EU und IWF sowie die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank liegt der Großteil der griechischen Schulden nämlich längst bei der öffentlichen Hand. Die größten Risiken einer Pleite tragen also die Steuerzahler und nicht die Banken. Die Politik wird wohl noch eine ganze Weile eine Getriebene der Märkte bleiben.

Quelle: Spiegel Online

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Montag, 15. August 2011

Kapitalismus zerstört sich selbst

Die Ungleichgewichte zwischen Superreichen und Mittelstand in den westlichen Industriestaaten werden zu einer Gefahr für Marktwirtschaft und Demokratie. Es gibt nur ein Rezept - Umverteilung nach unten mit erhöhten Steuern für die Reichen.

TA-Wirtschaftskolumnist Philipp Löpfe hat sich gut in den internationalen Medien umgesehen und beobachtete unter anderem: «US-Konzerne horten Geld», schreibt die «NZZ» im Wirtschaftsteil und fügt dann eine eindrückliche Liste an, welche Firmen auf wie grossen Geldbergen sitzen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: US-Unternehmen horten derzeit rund 2000 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt der USA im Jahr 2010 betrug rund 14 Billionen Dollar, also rund siebenmal soviel. «Amerikanische Firmen haben so viel Geld in ihren Kassen wie noch nie zuvor», stellt die «NZZ» lakonisch fest.

In der «New York Times» stellte gleichentags der legendäre Investor Warren Buffett heute ebenfalls eine Rechnung an: «Die Superreichen zahlen 15 Prozent Steuern auf dem grössten Teil ihres Einkommens und sie zahlen praktisch keine Lohn-Nebenkosten», schreibt er. «Ganz anders sieht die Lage für die Mittelschicht aus: Sie zahlt typischerweise zwischen 15 und 25 Prozent Steuer auf ihrem Einkommen und dazu gesellt sich zusätzlich eine kräftige Portion Lohn-Nebenkosten.» Die Superreichen sind in den letzten 20 Jahren gemäss Buffett extrem gut gefahren. Seit 1992 hat sich ihre Steuerbelastung von durchschnittlich 29,2 Prozent auf 21,5 Prozent verringert, obwohl sich das steuerbare, jährliche Einkommen der 400 Reichsten auf unglaubliche 227,4 Millionen Dollar im Durchschnitt erhöht hat.

In einem Video-Interview mit dem «Wall Street Journal» analysiert der Star-Ökonom Nouriel Roubini (siehe Bild) den Zustand der westlichen Industriestaaten. Wegen einer massiven Umverteilung des Wohlstandes zugunsten der Superreichen sei die Nachfrage in den westlichen Industriestaaten zusammengebrochen. Der Einbruch sei so dramatisch, dass wir Glück gehabt hätten, nicht bereits jetzt in eine Depression abgerutscht zu sein, sagt Roubini und prophezeit im besten Fall lange Jahre einer schmerzhaften Stagnation.


In den letzten Wochen haben sich die Erwartungen an die Zukunft der Ökonomen dramatisch verändert. Die neue Einschätzung lautet: Die USA stehen unmittelbar vor einem Rückfall in die Rezession, einem Double Dip, in Europa wird das Wirtschaftswachstum ebenfalls zum Stillstand kommen. Nicht nur die üblichen Problemländer verharren in ihrem Schlamassel. Auch in Frankreich herrscht de facto Null-Wachstum, der deutsche Wirtschaftsboom ist bereits vorbei. Allein im Juni ist die industrielle Produktion der Eurozone gegenüber dem Vormonat durchschnittlich um 0,7 Prozent eingebrochen. «Wir haben eine neue Gefahrenzone betreten», warnt auch der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick.

Vereinfacht gesagt sieht die Lage der westlichen Industriestaaten derzeit wie folgt aus: Konzerne und Superreiche haben in den letzten Jahrzehnten ungeheure Vermögen angehäuft und profitieren heute von tieferen Löhnen, billigem Geld und sinkenden Steuern. Der Mittelstand hingegen blutet aus: Die Löhne sinken, die Wohnkosten und die Steuerbelastung steigen. Das Resultat ist eine einbrechende Nachfrage, die im Begriff ist, in eine Verelendungsspirale zu münden. Dieses Phänomen ist Ökonomen bestens bekannt, sei es als «Liquiditätsfalle» oder als «Balance Sheet Recession».

Vermeintliche Freunde des Kapitalismus, Liberale und Konservative, wollen mit Sparen und Steuersenken der Liquiditätsfalle entrinnen. Das kann unmöglich zum Erfolg führen. Wie soll bei fallenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit Nachfrage entstehen? Und weshalb sollten Unternehmen investieren, wenn keine Nachfrage besteht? Der Weg aus der Liquiditätsfalle sieht anders aus: Kurzfristig muss mit sinnvollen Investitionsprogrammen in Infrastruktur und Bildung Nachfrage geschaffen werden, um Massenarbeitslosigkeit und Deflation zu verhindern. Gleichzeitig muss der Lohnzerfall der Mittelschicht gestoppt werden. Um zu verhindern, dass die Staatsschulden ausser Kontrolle geraten, muss die massive Umverteilung zugunsten der neuen Oligarchie wieder rückgängig gemacht werden. Das geht nur – wie es auch Buffett fordert – mit einer Erhöhung der Steuern für Superreiche.

All dies ist keine Frage der Ideologie mehr und es geht auch nicht um Fairness oder Moral. Wer das System retten will, muss jetzt handeln. «Die Märkte funktionieren nicht mehr», sagt Roubini. «Der Kapitalismus ist im Begriff, sich selbst zu zerstören.»

Quelle: Tages-Anzeiger / NYT

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Mittwoch, 10. August 2011

Finanzpolitisches Märchen

Seit Ausbruch der Kreditkrise 2008 sind viele Dinge passiert, die nach gängiger Meinung eigentlich gar nicht passieren können, schreibt Valentijn van Nieuwenhuijzen von ING Investment Management in seiner neusten Stellungnahme - eine höchst ungewöhnliche Sicht aus Bankenkreisen.

Und doch: Immobilienpreise können fallen, die Risikobewertungen von Banken, bankenähnlichen Institutionen sowie von Rating-Agenturen können weit daneben liegen, die Konjunktur ist gegen Depressionen nicht gefeit und Staatspapiere aus Industrieländern sind nicht risikolos. Die anhaltende Finanzkrise, die sich in der aktuellen Staatsschuldenkrise fortsetzt, hat gezeigt, dass all unsere wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumente samt der ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Theorien den Konjunkturzyklus nicht effektiv regeln und destabilisierende Erschütterungen des Systems nicht verhindern können. Letztendlich sind wir unsanft aus unserem Traum einer „Grossen Mässigung“ im weltwirtschaftlichen System erwacht und sehen uns jetzt einer Welt mit weniger – und schwankungsanfälligerem – Wachstum gegenüber.

Valentijn van Nieuwenhuijzen, Head of Strategy, Strategy and Asset Allocation Group bei ING Investment Management fordert konjunkturstützende Massnahmen.









Vor diesem Hintergrund waren die letzten drei Jahre für Märkte, politische Entscheidungsträger, Wirtschaftswissenschaftler und sonstige Experten von Fassungslosigkeit und Verwirrung geprägt. Tiefgreifende Überzeugungen standen auf dem Prüfstand; schnelles Handeln und wirtschaftspolitisches Umdenken waren gefordert, um die schlimmsten Auswüchse zu verhindern. Und noch haben sich Konsternation und Bestürzung angesichts der neuen wirtschaftlichen Realität nicht gelegt.

Bei Bilanzproblemen besteht häufig der Irrglaube, dass die Schuldenlast an einer Stelle nicht durch Verschuldung an anderer Stelle gelöst werden kann. Wenn dies auch auf den ersten Blick als nachvollziehbar erscheint, wird dabei vergessen, dass Schuldenprobleme in erster Linie Probleme der Verteilung sind und nicht eine höhere Verschuldung insgesamt für jeden Einzelnen bedeutet. Um es mal salopp auszudrücken: Was dem Einen seine Schulden, das ist dem Anderen sein Guthaben.

Starke bilanzielle Ungleichgewichte zwischen Sektoren und Ländern schaffen indes Schuldenprobleme, indem überschuldete Akteure (wie die Verbraucher in den USA und Grossbritannien, Banken, EWU-Peripheriestaaten) unter Druck geraten, während zugleich Ungewissheit entsteht, die die Ausgabenfreude der liquiden Player (Unternehmen, europäische Kernländer, Japan, Emerging Markets) dämpft. Letzteres ergibt sich aus den trüben Aussichten für die Nachfragesituation beziehungsweise den unüberschaubaren Kontrahentenrisiken im System infolge hoher Schuldenkonzentrationen.

Wenn innerhalb eines Wirtschaftssystems alle versuchen zu sparen und ihre Ausgaben drosseln, dann sinkt die Nachfrage, die Wirtschaftsleistung schrumpft und die Einkommen fallen. Dadurch werden die Schuldenungleichgewichte jedenfalls nicht verschwinden. Eine der Besorgnis erregendsten Konsequenzen der anhaltenden Finanzkrise – und hier seien insbesondere die Subprime-Krise in den USA und die griechische Staatsschuldenkrise genannt – ist die verbreitete Annahme, dass der einzige Weg aus der Krise über simultane Einsparungen führt. Das kann nur dann funktionieren, wenn diejenigen, die keine Schulden haben, die Einsparungen durch Konsum wettmachen. Ist das nicht der Fall, so lässt sich ein Double-Dip kaum vermeiden.

In der Hoffnung, einen solchen Rückfall in die Rezession abzuwenden, nehmen manche an, dass die Wirtschaftsleistung durch staatliche Sparmassnahmen sogar angekurbelt werden könne. Durch Förderung des Geschäftsklimas soll die Tätigkeit des Privatsektors beflügelt werden. Aus der Vergangenheit wissen wir jedoch, dass staatliche Sparmassnahmen nur dann von beschleunigtem Wirtschaftswachstum begleitet werden, wenn sinkende Risikoprämien an den lokalen Staatsanleihemärkten, eine erheblich an Wert verlierende Währung, eine starke ansteigende Auslandsnachfrage oder ein Zusammenspiel dieser Elemente Ausgleich schafft. Selten kommt es ohne einen dieser Faktoren zu deutlichen Stimmungsverbesserungen in der Wirtschaft oder bei Privaten.

Die meisten Länder, die bereits Sparmassnahmen ergriffen haben oder ihren Einsatz erwägen, haben scheinbar Schwierigkeiten, eine solche Dynamik anzustossen. Von der griechischen Tragödie traumatisiert, behaupten zahlreiche Experten, dass umgehende Sparmassnahmen nicht nur für Griechenland, sondern auch für Länder ohne drängende Finanzierungsrisiken oder Druck an den Anleihemärkten geboten seien, um ihre Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. In diese Kategorie fallen die europäischen Kernländer, aber auch Grossbritannien, Japan und die USA. All diese Länder sehen sich zwar langfristig Solvenzproblemen gegenüber, doch diese Herausforderungen ergeben sich in erster Linie aus den demografischen Trends und den damit verbundenen Gesundheits- und Pensionskosten. Hier spielen zudem überzogen optimistische Annahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitssektor und zur Entwicklung der Anlagerenditen (Rentenkassen) eine Rolle. In jedem Fall handelt es sich um langfristige Problemstellungen.

Die enormen Haushaltsdefizite, mit denen viele dieser Länder heute kämpfen, sind überwiegend Folge der schwersten Rezession seit der Grossen Depression und der nur sehr schleppend vonstatten gehenden Erholung. Gleichzeitig ist ein grosser Teil des Privatsektors entweder nicht in der Lage (bilanzielle Beschränkungen) oder nicht bereit (mangelndes Vertrauen in künftige Nachfrageentwicklung), seine Ausgaben zu steigern. Ohne kurzfristige Konjunkturförderung ist es daher unwahrscheinlich, dass sich die Wachstumsaussichten auf wundersame Weise verbessern, es sei denn, dass sich die fiskalpolitischen Fabeln diesmal als wahr erweisen.

Die realistischste wirtschaftspolitische Herangehensweise wäre daher, sich nicht auf die konjunkturell heilsamen Effekte eines Sparkurses zu verlassen, sondern kurzfristige Konjunkturförderung mit einer glaubwürdigen langfristigen Restrukturierung der Finanzierungslücke bei Gesundheits- und Rentenkassen zu kombinieren. Setzt man sein Vertrauen dagegen auf die gute Märchenfee und hofft, dass liquide Unternehmen aus Freude am Sparkurs endlich damit beginnen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und zu investieren, dann beisst sich die Schlange unweigerlich in den Schwanz. Dies wurde bereits am Beispiel Griechenlands vorexerziert, wo drastische Sparmassnahmen die heimische Wirtschaft derartig untergraben haben, dass die Staatseinnahmen eingebrochen und infolgedessen die Ziele der fiskalischen Konsolidierung verfehlt wurden.

Aber auch die Aussichten für die USA, die Eurozone und Grossbritannien sind nicht gerade umwerfend. Trotz der enttäuschend langsamen Konjunkturerholung in diesen Ländern geht es bei der fiskalpolitischen Debatte nur um das Ausmass der fiskalpolitischen Straffung auf kurze Sicht und nicht etwa darum, ob eine solche Straffung überhaupt stattfinden sollte. Wie gesagt müssen sich all diese Volkswirtschaften ihren langfristigen Solvenzproblemen stellen. Das sollte jedoch durch langfristig angelegte Massnahmen geschehen, die sich in den nächsten 12 bis 18 Monaten nicht belastend auf das Wachstum auswirken. Daran fehlt es bislang jedoch und deshalb sind die Wachstumsrisiken für die nahe Zukunft gestiegen. Hoffen wir, dass die politisch Verantwortlichen schnell genug auf den Boden der Tatsachen zurückfinden, um einen neuen Abschwung zu stoppen. Hoffnung ist momentan alles, was uns bleibt, denn alle Anzeichen deuten in die andere Richtung.

Quelle: Fondstrends

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Montag, 13. Juni 2011

So spart sich Europa kaputt

Der Euro-Raum ist wirtschaftlich angeschlagen und finanziell kaputt. Schuld daran ist nicht zuletzt der finnische EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Er mag zwar viel von Finanzen verstehen, aber die Grundlagen der Wirtschaft hat er vergessen oder nie beherrscht. Cash-Kolumnist Werner Vontobel hilft nach.

Wirtschaft ist Kreislauf. Was produziert wird, muss auch konsumiert werden. Der harte Wettbewerb sorgt dafür, dass immer mehr und effizienter produziert wird. Doch Hochleistungsproduktion erfordert auch Hochleistungskonsum. Doch daran hapert es. Holen wir ein wenig aus.

Konsum unterteilt sich in Privatkonsum und Staatskonsum. Beides wird überwiegend mit Löhnen, Lohnprozenten und Steuern finanziert. Nun gibt es aber aus nationaler Sicht auch noch den Auslandkonsum, Export genannt. Und genau hier beginnt das Problem, die Standort- und Steuerwettbewerbspolitik. Sie zielt darauf ab, den Standort durch eine Reduktion der Lohn- und Steuerkosten billig zu machen und so den Auslandkonsum zu fördern. Als Folge davon stagniert der Inlandkonsum.

In Deutschland etwa steigt der Konsum pro Kopf seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Wachstum ist nur noch durch stetig steigende Exportüberschüsse möglich. Deutschland sammelt also laufend Guthaben gegenüber seinen Handelspartnern USA, Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland usw. an. Das fängt an mit einem Debitorenkredit an den griechischen Geschäftspartner, der sich über seine Bank refinanziert, die ihrerseits Obligationen ausgibt, die dann der deutsche Exporteur bei einer deutschen Bank in Euro umwandelt.

So ging das bis etwa 2008 immer wieder. Dann mündete diese Kreditschöpfung in eine Finanzkrise. Sie zwang alle Schuldnerländer, Sparprogramme aufzulegen und ihren Konsum noch mehr zu drosseln. Die Politiker drosseln dort, wo sie können, beim Staatskonsum und bei den staatlichen Löhnen.

Doch damit die Wirtschaft nicht ganz zusammenbricht, müssen die Regierungen jetzt aber mehr Sozialleistungen bezahlen. Die Schuldenwirtschaft lief also - nur leicht gebremst - auch nach 2008 weiter. Mit dem Unterschied, dass die Kredite jetzt nicht mehr privat - etwa über Subprime-Hypotheken - finanziert wurden, sondern mit Staatsobligationen.

Doch jetzt jetzt haben die Märkte auch von den Staatsschulden genug. Die Finanzkrise ist in ihre nächste, terminale Phase getreten: Die Devisen, die Griechenland, Irland, Portugal und Spanien brauchen, um ihr jährliches Leistungsbilanzdefizit von rund 100 Milliarden Euro zu finanzieren, kommen neuerdings - über ein paar kurze Umwege - direkt von der Europäischen Zentralbank. Sie druckt die nötigen Euros und erhält dafür eine Forderung, das sogenannte Target-2-Guthaben, das 2007 noch null betrug, Ende 2010 bei 340 Milliarden Euro (wovon 325 zugunsten von Deutschland) lag und jetzt die 400 Milliarden-Marke streifen dürfte.

Damit ist buchhalterisch klar erwiesen, dass Europas Finanzproblem nur gelöst werden kann, wenn Deutschland mit Exportdefiziten seine Target-2-Position nach und nach wieder abbaut und glattstellt. Doch EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn hat immer noch nichts begriffen. Das zeigen seine jüngsten wirtschaftspolitischen Empfehlungen an die Mitgliederländer: Danach sollen erstens die Schuldnerländer den Privat- und Staatskonsum weiter senken. Das könnte ja noch hinhauen, wenn Griechen, Spanier und Portugiesen voll damit beschäftigt wären, Exportgüter für Deutschland herzustellen.

Aber nein, von dort wird - wenn es nach Olli Rehn geht - künftig noch mehr zurückexportiert. Der EU-General will nämlich noch mehr deutsche Frauen an die Exportfront schicken. Deutschland soll, so die wichtigste Empfehlung der EU-Kommission, die Erwerbsbeteiligung der Frauen erhöhen. Von mehr Binnenkonsum ist nicht die Rede.

So geht die EU an volkswirtschaftlichem Unverstand zugrunde. Rehn wird die Folgen seiner Dummheit überleben: Er hat ein fixes Honorar und eine fette Pension.

Quelle: Werner Vontobel / Cash

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Freitag, 20. Mai 2011

Neues Antlitz der Ökonomie

Wirtschaftswissenschaftler aus aller Welt haben die «World Economic Association» gegründet. Ihr Ziel: Gegen den orthodoxen Mainstream an Wirtschaftsfakultäten anzukämpfen. Junge Wissenschaftler sollen sich nicht von den Dogmen der orthodoxen Wirtschaftswissenschaft leiten lassen.

Ökonomen, die gegen die Dogmen der modernen Wirtschaftswissenschaften andenken, haben in der Fachwelt einen schweren Stand: Wer sich nicht den Konventionen anpasst, hat wenig Chancen, Publikationen in renommierten Journals zu landen. Und wer nicht in renommierten Journals publiziert hat, erhält an einer renommierten Universität keinen Lehrstuhl. Um diesen Missstand zu beheben und ihren Ansichten mehr Gehör zu verschaffen, haben alternative Ökonomen diese Woche die «World Economic Association» (WEA) gegründet – eine Vereinigung für all jene, die einen realitätsnahen, pluralistischen, partizipativen und demokratischen Wissenschaftsbetrieb befürworten. Am Montag wurde die Gruppe offiziell ins Leben gerufen, mittlerweile zählt sie bereits über 3000 Mitglieder.

Einer der Initiatoren der neuen Vereinigung ist Edward Fullbrook, der an der University of the West of England lehrt. Fullbrook schreibt seit geraumer Zeit gegen den ökonomischen Mainsream an – dementsprechend tragen seine Bücher Titel wie «A Guide to What's Wrong with Economics» oder «Pluralist Economics». Nebenbei führt der britische Ökonom das Journal «Real-world economics review», das nun zu einem wichtigen Sprachrohr der World Economic Association werden soll.

Die Vereinigung sei aus dem Wunsch nach Vielfalt heraus entstanden, sagt Fullbrook auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnetz: «Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das dominierende Verständnis der Wirtschaft sehr begrenzt ist. Die meisten der Leute, die vor der Krise gewarnt haben, waren unkonventionelle Ökonomen, deren Blick auf die Realität nicht durch die neoklassische Brille verstellt war.» Was man heute brauche, sei eine wissenschaftliche Organisation, die nicht nur an amerikanischen Problemstellungen interessiert sei, sondern eine globale Ausrichtung verfolge.

Ein Blick auf die Webseite der WEA zeigt, dass es der Organisation ernst ist mit diesem Vorhaben. Zu den Gründungsmitgliedern zählen Ökonomen aus fünf Kontinenten und 42 Ländern. Unter ihnen sind auch einige wissenschaftliche Schwergewichte wie Dani Rodrik («Das Globalisierungs-Paradox») und Richard C. Koo («The Holy Grail of Macroeconomics»), aber auch Wirtschaftsjournalisten wie der Keynes-Biograph Robert Skidelsky und der Autor des Buches «Ökonomie 2.0», Norbert Häring.

Auch der Fribourger Wirtschaftsprofessor Sergio Rossi ist als Gründungsmitglied der Vereinigung aufgeführt. Die Chancen der WEA, im Wissenschaftsbetrieb etwas zu bewegen, schätzt er vorsichtig ein: «Die orthodoxe Lehre hat heute ein Quasi-Monopol an Universitäten und in politischen Beratungsgremien inne. Junge Wissenschaftler werden dazu gezwungen, sich nach den herrschenden Paradigmen zu richten, wenn sie in ihrer Karriere vorankommen möchten.» Zu den Dogmen, die von unorthodoxen Wirtschaftswissenschaftlern scharf angegriffen werden, gehört zum Beispiel die «efficient-market hypothesis». Diese Hypothese besagt, dass Finanzmärkte Informationen effizient verarbeiten und somit niemand in der Lage sein müsste, dauerhaft überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen – eine wahnwitzige Annahme, nach Ansicht vieler alternativer Ökonomen. Auch für die Blasenbildung an Finanzmärkten hält die Effizienzmarkthypothese keine befriedigende Erklärung bereit.

Ein weiterer Dorn im Auge der WEA-Ökonomen ist die Theorie der komparativen Kostenvorteile, die den internationalen Handel und die daraus entstehenden Spezialisierungsgewinne erklärt. Als problematisch wird dabei weniger die Theorie selbst angesehen (denn diese ist mathematisch hieb- und stichfest formuliert), sondern vielmehr die Tatsache, dass sie von Befürwortern des Freihandels zur alleinigen Leitlinie der internationalen Handelspolitik gemacht wird. Dass gerade Entwicklungsländer eher eine behutsame als eine radikale Öffnungsstrategie verfolgen sollten, wird im Licht von komparativen Kostenvorteilen häufig ausgeblendet.

Doch die WEA möchte nicht nur Kritik an bestehenden Lehrmeinungen zur Sprache bringen, sondern die Wirtschaftswissenschaft auch konstruktiv weiterführen – zum Beispiel, indem es dem Thema Nachhaltigkeit einen wichtigen Stellenwert in ihren Journals einräumt. Eine brennende Frage aus der Sicht der «grünen» Ökonomie ist dabei die folgende: Wie muss die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts organisiert sein, damit sie ihre eigenen Grundlagen nicht zerstört?

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnetz

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Donnerstag, 10. März 2011

Die Banken nicht im Griff

Es ist eine Warnung, die überall auf der Welt gehört werden dürfte: Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Hüterin des Weltfinanzsystems, kommt in einem internen Diskussionspapier zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit einer neuen Finanzkrise durch die Bankenrettung in der Finanzkrise 2008 größer geworden ist. So die Einschätzung des deutschen Handelsblatts.

Die IWF-Experten kritisieren, dass die Regierungen die Ursachen der Finanzkrise immer noch nicht energisch genug bekämpfen: „Die Reparatur der Finanzinstitutionen und allgemein der Abbau der faulen Wertpapierbestände sind viel weniger fortgeschritten, als sie sein sollten“, schreiben die Autoren. „Die Anfälligkeit des globalen Finanzsystems bleibt erheblich und bedroht die wirtschaftliche Erholung“ – abgesegnet ist das Papier offiziell vom IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard.

Insbesondere die Bankenregulierung geht dem Währungsfonds nicht weit genug: Das Problem, dass Banken so groß und komplex sind, dass sie den Staat erpressen können, weil man sie retten muss, sei immer noch nicht gelöst. Im Gegenteil: Durch die Bankenrettung sei das Problem sogar verschärft worden: „ Der Moral Hazard ist größer geworden, die Konzentration im Finanzsystem hat zugenommen.“ Das Kernursache der Finanzkrise besteht damit weiter: „Wir werden Großbanken in einer neuen Krise wieder retten müssen“, sagt auch Banken-Experte Hans-Peter Burghof im Interview mit Handelsblatt Online.

Der IWF warnt daher eindringlich: „Die Reaktion der Politik auf die Krise hat viel gekostet und den Staat noch erpressbarer gemacht. In der nächsten Krise kann eine Rettung so nicht mehr laufen – das wäre zu teuer und politisch zu umstritten“. Um die Reform zügig voranzutreiben, brauche es mehr politisches Engagement.

Der IWF appelliert daher an die Regierungen, die Gefahr endlich anzugehen. Die Vorschläge, die der IWF macht, sind nicht neu. Aber gemessen daran, dass es sich um eine konservative Behörde handelt, die auch die Finanzinteressen des Westens in der Welt vertreten soll, sind sie revolutionär. Um das systemische Risiko, was die Großbanken für das Finanzsytem darstellen, in den Griff zu kriegen, sollten Regierungen ihre Komplexität beschneiden, bessere Kapitalanforderungen stellen und – Achtung – „möglicherweise ihre Größe und ihre Geschäftsmodelle beschränken“.

In Ihrem Blog warnen die Autoren der Studie sogar noch eindringlicher als in der gedruckten Fassung der Studie vor den katastrophalen Konsequenzen des epochalen Versäumnisses der Politik: „Die Entscheider haben das System mit massiven Finanzhilfen schnell stabilisiert. Aber das hat nur die Symptome der globalen Finanzkrise kuriert – die seltene Gelegenheit, ihre tieferliegenden Ursachen anzugehen, wird jetzt fahrlässig vergeudet.“

Quelle: Handelsblatt 10.3.2011

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Sonntag, 20. Februar 2011

Aus Krise nichts gelernt

Dass die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft mit den Wechselkursen, den Lohnkosten oder den Leistungsbilanzssalden zu tun haben, wird vernünftigerweise niemand bestreiten. Hieße es doch, die Gesetze der Ökonomie praktisch für ungültig zu erklären. Dennoch stritten die Finanzminister- und Notenbankchef der G 20 zwei Tage lang, ob diese Begriffe in der Abschlusserklärung ihres Treffens an diesem Wochenende in Paris auftauchen dürfen. Ein Kommentar der deutschen «Zeit».

Am Ende hat man sich wie immer auf einen Kompromiss verständigt. Doch die Auseinandersetzung zeigt: Für eine neue Weltwirtschaftsordnung, wie sie die französische G-20-Präsidentschaft zumindest in Ansätzen zu errichten hofft, gibt es keine Mehrheit. Auf dem internationalen Parkett streitet jedes Land wieder ungeniert für seine Interessen.

Dabei hatte Paris seine Ambitionen bereits heruntergeschraubt, eine umfassende Reform des Weltwährungssystems stand nicht auf der Agenda. Um nicht mehr als die Einigung auf einen Satz von fünf Indikatoren zur Messung der globalen Ungleichgewichte - also der Verzerrungen in den Güter- und Kapitalströmen - sollte es jetzt gehen. Doch wenn es schon bei der Problemanalyse solche Meinungsunterschiede gibt, um wieviel größer werden sie erst bei der Debatte um eine Konkretisierung der Indikatoren sein? Denn natürlich müssen die Grenzwerte irgendwann quantifiziert werden. Und um wieviel größer werden die Meinungsunterschiede sein, wenn es erst um mögliche Gegenmaßnahmen geht?

Das aktuelle Weltwährungssystem ist in Wahrheit ein Nicht-System: Jeder tut, was er will. Es gibt weder verbindliche Regeln, noch handlungsfähige Instiutionen, die jene erzwingen - so sehr sich der Internationale Währungsfonds (IWF) auch müht, sich im Konzert der Nationen zu behaupten. Das Ergebnis: China verhindert eine Aufwertung seiner Währung, obwohl diese nach allen gängigen ökonomischen Kriterien unterbewertet ist; die USA bekommen ihr Haushaltsdefizit nicht in den Griff; Deutschland tut zu wenig, um die Binnennachfrage zu stärken, obwohl der Überschuss im Außenhandel immer noch gewaltig ist.

Länder wie Deutschland oder China müssen also mehr konsumieren, Länder wie die USA mehr sparen. Doch gerade hierzulande werden alle Versuche, etwas Ordnung in die Weltwirtschaft zu bringen, gnadenlos abgeschmettert - so, als gehe es darum, dass ein Gleichgewichtskommissar künftig bei BMW die Bänder anhält, wenn zu viele Autos verkauft werden. Darum geht es aber nicht. Genau so wenig, wie irgendjemand den Deutschen vorschreiben will, sich nicht mehr an der Spitze, sondern am Durchschnitt zu orientieren. Sie sollen aber, wenn sie den Rest der Welt als Absatzmarkt benutzen, auch selbst als solcher offen stehen.

Wenn Deutschlands Ökonomen und ihre Gehilfen im öffentlichen Diskurs anderes behaupten, dann, weil es ihnen darum geht, die Idee einer systematischen Steuerung der globalen Ökonomie als Anmaßung von Wissen und Planwirtschaft zu desavouieren. Die Politik sollte sich davon nicht beirren lassen: Die Weltwirtschaft erlebte ihre stabilsten Jahre zu den Zeiten des Währungssystems von Bretton Woods, das Wechselkurse und Kapitalverkehr reglementierte. Dass das System kollabiert ist, liegt nicht daran, dass zu viel reguliert wurde, sondern immer noch zu wenig.

Eine Neuordnung der globalen Währungsbeziehungen wird sich nicht in einem Jahr bewerkstelligen lassen. Jede Währungsordnung ist nur so gut wie der Kooperationswille ihrer Mitgliedsstaaten. Den Versuch aber nicht einmal zu unternehmen, hieße, aus der Krise nichts gelernt zu haben.

Quelle: ZEIT ONLINE

Donnerstag, 10. Februar 2011