Freitag, 28. September 2012

Triodos umreisst neue Bank

Die seit dem Ausbruch der Finanzkrise in 2008 ergriffenen Maßnahmen zur Regulierung der Banken greifen offensichtlich zu kurz. Darauf weist die niederländische Nachhaltigkeitsbank Triodos Bank N.V. hin, die mit einer Niederlassung in Frankfurt auch im deutschen Markt aktiv ist. Die alternative Bank verweist den Vertrauensverlust der Bevölkerung in das herrschende Bankensystem. Die Zeit sei reif für eine neue Form von Bank - und das erfordere ein neues Denken über Banken.

Die aktuellen Diskussionen in der Politik über Bankenregulierung sowie das Gesetzgebungsverfahren zum Hochfrequenzhandel zeigen nach ihrer Einschätzung einen „nach wie vor bestehenden Handlungsbedarf für einen Wandel im Finanzsystem deutlich auf“.  Laut Triodos sollte die "neue Bank" sich wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, für die sie durch die Gesellschaft beauftragt worden sei: Einlagen einsammeln und hiermit Kredite vergeben. Alle weiteren Aufgaben, die viele Banken heute betreiben, speziell riskante Investments, müssten von diesem Kerngeschäft abgespalten werden. Selbst dann müssten jedoch Spekulationsgeschäfte tabu sein. Derivative Produkte seien aufzugeben, solange sie nicht unmittelbar der Finanzierung der Realwirtschaft dienten und auch der Eigenhandel sei einzustellen.

Triodos betont, die "neue Bank" müsse transparent sein. Dem Kunden und anderen Interessensgruppen müsse zu jeder Zeit klar sein, was die Bank finanziert bzw. in was sie investiert, wie sie ihre Erträge und Rendite erwirtschaftet, welche Risiken sie hierbei eingeht und wie sie diese managt. Ferner plädiert Triodos für eine mittelständisch Finanzinstitute, einher gehend mit einer thematischen geographischen Spezialisierung, zum Beispiel auf nachhaltigkeit und auf das nähere Umland. Vor allem solle gelten: Umso größer eine Bank, umso mehr Eigenkapital muss sie vorweisen. Mit Größe der Bilanzsumme sollten insgesamt die Eigenkapitalanforderungen steigen.

Die „neue Bank“ hat laut Triodos klare Ausschlusskriterien, was sie aus ethisch-ökologischen Gründen nicht finanziert. Diese werden veröffentlicht und die Bank lässt sich hieran messen. Sie sollte in ihrer Finanzierungs- und Investitionstätigkeit auch nachhaltige Unternehmen und Projekte einschließen. Ferner müssten Risiken minimiert und kontrolliert werden. Denn es sei die oberste Pflicht der Bank, ihre kontinuierliche Rolle als Finanzierer der Realwirtschaft nicht unnötig zu gefährden. Auch handelt die „neue Bank“ Triodos zufolge nicht nur im Interesse ihrer Anteilseigner, sondern auch im Interesse anderer Anspruchsgruppen, insbesondere der Kunden und Mitarbeiter. Ihr Ziel sei nicht die kurzfristige Profitmaximierung, sondern die Maximierung der Nachhaltigkeit als Einklang von Mensch, Umwelt und Wirtschaft.

Banker brauchen laut Triodos für die Erfüllung ihrer Aufgaben keine Anreizsysteme. Sie müssten bereit sein, hierfür auch einen Eid zu schwören, wwie dies in den Niederlanden bereits praktiziert werde. Die Triodos Bank verweist darauf, dass Nachhaltigkeitsbanken bereits heute für diese Forderungen stehen. „Sie liefern mit ihrem kontinuierlichen Wachstum von im Durchschnitt 20 Prozent pro Jahr den Beweis, dass ein solches Geschäftsmodell auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ohne Mensch(lichkeit) und Umwelt zu kompromittieren“, stellt sie fest. Ein anderes Bankwesen sei möglich, nur müssten Politik und Bankenbranche dementsprechend handeln.

Die 1980 gegründete Triodos Bank hat rund 400.000 Kunden und weist ein Geschäftsvolumen von rund sieben Milliarden Euro aus.
Sie beschäftigt mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in fünf Niederlassungen in Europa: in den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Spanien und Deutschland. 2009 wurde die Triodos Bank als "Sustainable Bank of the Year" durch die Financial Times und die Weltbanktochter IFC ausgezeichnet. Die Triodos Bank ist einer der drei der Global Alliance for Banking on Values (www.gabv.org), eines internationalen Netzwerks von führenden Nachhaltigkeitsbanken.

Freitag, 13. Juli 2012

Umwelt-Kondratieff-Zyklus eingeleitet

Der Klimawandel sowie die Krisen rund um die Energieversorgung deuten auf eine Welt im Umbruch hin: Wie eine aktuelle Studie von Allianz Global Investors zeigt, wird der zunehmende Handlungsdruck die Wirtschaft in nahezu allen Bereichen verändern. Die Welt steht am Beginn des sechsten Kondratieff-Zyklus, der durch einen nachhaltigen "grünen" Wachstumspfad gekennzeichnet sein dürfte.

Die Finanz- und Schuldenkrise wird die globalen Märkte wohl noch auf absehbare Zeit begleiten. Sie könnte aber auch gleichzeitig eine Phase des Umbruchs markieren, wie sie der russische Ökonom Kondratieff charakterisiert hat. Eines Umbruchs, in dem alte Industriezweige durch neue verdrängt werden. "Unter den veränderten Voraussetzungen von Globalisierung, demografischer Entwicklung, Klimawandel, knappen Ressourcen sowie einem stärkeren Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten wird Wachstum künftig vermutlich aus einer neuen Mischung von Ökonomie und Ökologie generiert", kommentiert Martin Bruckner, Vorstand der Allianz Investmentbank AG, die Ergebnisse der aktuellen Allianz Global Investors Studie.

Fünf Kennzeichen leiten eine Trendwende zu einem neuen Kondratieff-Zyklus ein: Das Nutzungspotenzial einer alten Basisinnovation ist erschöpft, es gibt einen hohen Überschuss an Finanzkapital, die Wirtschaft befindet sich in einer starken Rezessionsphase, es kommt zu sozialen und institutionellen Veränderungen und volkswirtschaftliche Engpässe werden durch neue Technologien gelöst. Wie die aktuelle Studie zeigt, scheinen alle Kriterien auf die aktuelle Finanz- und Staatsschuldenkrise zuzutreffen: Der Produktivitätsschub der Informationstechnik, die 1941 mit der Erfindung des Computers "Z3" ihren Ursprung hatte, scheint langsam auszuklingen. Ein noch schnelleres Notebook beispielsweise macht die Arbeitsprozesse nicht mehr sehr viel produktiver.

Auch war die Wirtschaft bis 2007, vor dem Ausbruch der Finanzkrise,
von einem Überschuss an Finanzkapital geprägt. Anleger suchten auf ihrer Renditejagd nach Anlagealternativen, die sie größtenteils in kreditfinanzierten US-Immobilien oder in Finanzderivaten fanden. Hinzu kamen die Liquiditätsspritzen der Zentralbanken und der Staaten. Die Staaten ließen Konjunkturpakete vom Stapel, um die ökonomische Kernschmelze zu verhindern. Folge: Die ohnehin schon defizitären Haushalte rutschten noch weiter in die roten Zahlen.

Im Zuge dieser Entwicklungen kam es in den letzten Jahren zu neuen Formen unternehmens- und länderübergreifender Kooperation in vielen Feldern des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns. Ebenso wird derzeit an einer globalen ordnungspolitischen Finanzarchitektur gearbeitet, die das Fundament für ein nachhaltiges Wirtschafts- und Finanzsystem bilden soll. Gleichzeitig halten immer mehr ökologische und sozialgesellschaftliche Aspekte Einzug in Unternehmens- und Investitionsentscheidungen. Schließlich verdeutlichen die jüngsten Krisen, dass der sicheren Versorgung mit Rohstoffen und Energie eine immer größere Bedeutung beigemessen werden sollte.

Während in den bisherigen Wirtschaftszyklen der letzten 200 Jahre primär der Faktor Arbeit der ökonomische Engpassfaktor war, dürften im 21. Jahrhundert die immer knapper werdenden Rohstoff- und Energieressourcen die Schlüsselfaktoren der Wirtschaft sein. Folglich dürfte nicht mehr ausschließlich die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern vor allem die Steigerung der Ressourcen- und Energieproduktivität die Kraftquellen des nächsten Zyklus charakterisieren. Gerade der Umstieg auf erneuerbare Energien zeige, dass künftiges Wachstum weniger verbrauchend als vielmehr regenerierend sein wird. "Gerade das Jahr 2011 hat uns vor Augen geführt, dass es anders als früher nicht mehr vorrangig darum geht, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu produzieren - ohne Rücksicht auf die Belastung der Verschuldungssalden und der Umwelt", so Bruckner. Erste Schritte, Umwelt mit einem Preis auszustatten, seien bereits unternommen worden. So habe sich die Anzahl der Länder mit politischen Zielen zum Ausbau erneuerbarer Energien oder ähnlichen Regelungen zwischen 2005 und 2011 von 55 auf 119 Staaten mehr als verdoppelt. Erstaunlich dabei: Über 50 Prozent hiervon sind Schwellenländer.

Die Basistechnologien, die nach Kondratieffs Diktion für den Start eines neuen Langfristzyklus notwendig sind, sind der Studie zufolge größtenteils bereits vorhanden.
Sie resultieren aus der Kombination des Bereichs der Informationstechnologie mit dem der "grünen" Märkte. Beispiele hierfür seien der Übergang zu erneuerbaren Energien, die Nutzung von Energiespeichern und Smart-Grid-Systeme ("intelligente Stromnetze"). Die "Green Tech"-Märkte insgesamt werden viele klassische Industriezweige wohl deutlich hinter sich lassen, weil die Nachfrage nach erneuerbaren Energien, modernen Umwelttechnologien, nachhaltiger Wasserwirtschaft, Recycling und effizienteren Antriebstechniken steigen sollte.

Schätzungen zeigen, dass die Leitmärkte der Umwelttechnik bereits 2010 ein weltweites Umsatzvolumen von rund 1,7 Billionen US-Dollar auf sich vereinten. Bis ins Jahr 2020 dürften es rund 3,2 Billionen US-Dollar sein, was einem überdurchschnittlichen Wachstum von 6,5 Prozent p.a. entsprechen würde. "Als Investoren mit längerfristiger Perspektive - durchaus im Sinne des Umweltschutzes - sollten wir die Welt mit den Augen Kondratieffs sehen und unseren Blick in die Zukunft richten. Ein neuer Wohlstandszyklus durch symbiotisches Wachstum kann vor der Tür stehen", so Bruckner abschließend.

Quelle: Allianz / oekonews.at

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Dienstag, 15. Mai 2012

Ungleichheit ist ungesund

Zufall oder nicht: Dieser Text entsteht am 15. Mai,  an dem in Frankreich ein neuer Staatspräsident sein Amt antritt. Ein in westlichen Demokratien zwar wiederholt zu beobachtender Vorgang, dass der Vorgänger abgewählt wird und doch eher ungewöhnlich. Unter anderem wohl dem Faktum geschuldet, dass Nicolas Sarkozy die Interessen der Reichen vertrat, während sein Nachfolger François Hollande verspricht, der wachsenden Ungleichheit entgegen zu wirken. Ein solches Versprechen ist, zumindest in einigen Ländern Europas, also mehrheitsfähig – ob es das auch hierzulande so wäre, muss vorderhand offen bleiben.

Wie sich Ungleichheit in einer Gesellschaft auswirkt, haben der Ökonom Hans Kissling und der Soziologe Werner Obrecht in der Wochenzeitschrift «Das Magazin» (TA-Beilage 19/2012 - online nicht frei einsehbar) beleuchtet. Ihr Befund ist eindeutig und stützt sich auf Erkenntnisse einer bislang eher unbekannten Wissenschaftsrichtung, der Sozialepidemiologie – will so viel heissen wie Wissenschaft der Wechselwirkungen von Gesundheit und Gesellschaft. Der Befund lautet: Bestehende oder wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft, sei diese als Nation oder Region gefasst, ist ungesund – die Mitglieder dieser Gesellschaft fühlen sich mit anderen Worten weniger gesund als jene in gleicheren Gesellschaften.

Empirische Erkenntnisse vielerlei Art stützen diese Aussage. So gibt es etwa bei hoher Ungleichheit, wie sie in den USA zu beobachten ist, wesentlich mehr Fettleibigkeit, eine deutlich höhere Säuglingssterblichkeit, aber auch mehr Strafgefangene. Umgekehrt gelten die Verhältnisse in Japan oder den nordeuropäischen Staaten als vergleichsweise ausgeglichen – und siehe da, diese Länder schneiden in vielerlei gesundheitlichen sowie psychosozialen Aspekten wie den erwähnten oder auch der Mordrate und im schulischen Verhalten (Abbruch der Ausbildung) besser ab.  Als Mass für die Ungleichheit gilt dabei etwa das Verhältnis der Einkommen der reichsten 20 Prozent einer Bevölkerung zu jenem der ärmsten 20 Prozent. Die Zahl erreicht in den USA eine satte Acht, in Japan lediglich die Hälfte – und die Schweiz liegt dazwischen bei ungefähr sechs.

Was ist zu tun? Die Autoren besagten Magazin-Artikels erwähnen die Einkommensbesteuerung als bewährtes Mittel, Ungleichheiten in einem gewissen Mass einzuebnen. Dabei ginge es in vielen Ländern Europas gar nicht darum, eine grosse Umverteilung zu starten. Es gälte lediglich, Steuerentlastungen für Reiche rückgängig zu machen, die in den vergangenen Jahren weit herum erlassen wurden und die die Ungleichheit spürbar vergrösserten (siehe etwa Sarkozy in Frankreich).

Der Reflex vieler Interessenvertreter der Ungleichheit, solches Anliegen als «Neid-gesteuert» abzuqualifizieren, zielt dabei ins Leere. Denn mehr Gleichheit würde gemäss den Erkenntnissen der Sozialepidemiologie  weniger Gesundheitskosten nach sich ziehen, damit mittelfristig die Steuerbelastung möglicherweise insgesamt reduzieren, und käme sogar den Reichen zugute. Das Anliegen erhält in der Schweiz politische Brisanz, weil die Jungsozialisten die Initiative 1:12 eingereicht haben und damit via Volksabstimmung die Einkommensungleichheit auf erwähntes Verhältnis begrenzen wollen.

In einem Interview von TA-Online erläutert der Basler Soziologieprofessor Ueli Mäder die Ursachen steigender Suizid-Raten in ganz Europa - Artikel hier.

© Solarmedia

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Freitag, 11. Mai 2012

So zockte JP Morgan

Der Skandal erinnert an die Auslöser der Finanzkrise: Das US-Geldhaus JP Morgan Chase hat bei obskuren Spekulationsgeschäften zwei Milliarden Dollar in den Sand gesetzt - in nur sechs Wochen. Noch schwerer als der finanzielle Verlust aber wiegt der Imageschaden für den stolzen Bankchef Jamie Dimon - Hintergründe von Spiegel Online.

Es klingt wie eine Gruselszene aus dem Jahr 2008, vom Vorabend der Finanzkrise. Der Boss einer Wall-Street-Bank beruft nach Börsenschluss hastig eine Konferenzschaltung mit Analysten ein. Er enthüllt unerwartete Milliardenverluste aus riskanten Finanzwetten, die das Fundament der Bank ins Wanken bringen könnten. Er versichert, dass das Fundament der Bank nicht wanke. Im nachbörslichen Handel stürzt der Aktienkurs der Bank ab.

Fast vier Jahre nach Beginn der internationalen Finanzkrise sollte das nicht mehr passieren. Und doch passiert es am Donnerstag in New York. Der Bankboss ist Jamie Dimon, der letzte der Großen, die sich aus jenen turbulenten Jahren noch gehalten haben. Die Bank ist JP Morgan Chase (JPM) , die heute größte Bank der USA. Und die Spekulationsverluste beziffern sich auf rund zwei Milliarden Dollar - in nur sechs Wochen.

"Das waren ungeheuerliche Fehler", gibt selbst der sonst so selbstbewusste Dimon zu. "Sie waren selbstverschuldet, und das ist nicht die Art, wie wir ein Geschäft führen wollen." Woher kam das Geld? Wo ist es geblieben? Wer hatte die Aufsicht? Wieso zog keiner die Notbremse? Wer haftet? Noch bleiben die Details diffus. Fest steht, dass dies mehr ist als ein Dämpfer für die stolzeste - manche sagen überheblichste - Bank der Wall Street. Zwar ist der Schaden auf dem Papier noch relativ - im vergangenen Jahr verdiente JPM fast 19 Milliarden Dollar, dürfte den bisherigen Verlust also wegstecken können. Doch der Imageschaden ist jetzt schon unabschätzbar: "JP Morgan verzockt seine Krone", titelt das "Wall Street Journal" fast schadenfroh.

Vom politischen Schaden ganz zu schweigen: Blitzschnell werden mal wieder neue Rufe nach schärferer Aufsicht der Wall Street laut - Forderungen, denen zuletzt gerade Dimon, der seit der Krise als einflussreichster Banker Amerikas gilt, am vehementesten widersprach. Der Skandal "sät Zweifel an Jamies Opposition und gibt denen Auftrieb, die härtere Regulierungen gefordert haben", sagte der Analyst Mike Mayo (Credit Agricole Securities) der "New York Times" - und fügte spöttisch hinzu: "Oh, wie die Mächtigen gefallen sind."

Zum Vergleich: Ein Schaden von rund zwei Milliarden Dollar entspräche in etwa dem Verlust, den die Schweizer Großbank UBS Ende vorigen Jahres durch die Geschäfte eines einzelnen Händlers in London erlitt. Sowie der Summe, die dem US-Finanzgiganten MF Global abhanden ging und zu seiner Pleite führte. Auch aus einem anderen Grund kann sich JPM diese Peinlichkeit gerade nicht leisten: Es ist Konsortialführer für den kommenden Mega-Börsengang von Facebook. Dessen Chef Mark Zuckerberg dürfte darüber kaum erfreut sein.
 
Was bisher bekannt ist: Brandherd ist demnach das Chief Investment Office (CIO), eine Abteilung bei JPM, die in obskuren Finanzmärkten spekuliert, um die Aktiva und Passiva der Bank auszugleichen - eine Art firmeninterne Hedgefondsgruppe. Diese fiel schon im April auf: Da kursierten Gerüchte, ein JPM-Trader, der in London sitze, habe auffällig hohe Wetten im Derivatemarkt gewagt - mit Credit Default Swaps (CDS). Das "Wall Street Journal" identifizierte den Mann als Bruno Iksil - in Branchenkreisen auch "Londoner Wal" oder "Voldemort" genannt, nach dem fiktiven Harry-Potter-Schurken.

Dimon wiegelte diese Sorgen damals noch ab: "Ein Sturm im Wasserglas", sagte er Mitte April. Das soll er wohl noch diese Woche in persönlichen Gesprächen mit Analysten wiederholt haben. Nun entschuldigte er sich bei ihnen. Denn jetzt sind es genau jene CDS-Deals, die JPM reingerissen haben. JPM habe in seinem "synthetischen Kredit-Portfolio erhebliche Marktverluste erlitten", gab Dimon zu - in Zahlen: "Zwei Milliarden Dollar." Besagtes Portfolio habe sich "als riskanter, volatiler und weniger effektiv erwiesen" als angenommen. Auch seien die Deals "schlecht geprüft, schlecht ausgeführt und schlecht überwacht" worden. Auch von "Irrtümern", "Schlampereien" und "schlechtem Urteilsvermögen" soll die Rede gewesen sein.

Déjà-vu: Das Desaster spielte sich auf den gleichen Schauplätzen ab und unter ähnlichen Umständen wie die Zockereien, die 2008 zum Bankenkollaps geführt hatten. Als habe sich nichts geändert, hätten die Banker nichts gelernt aus der Krise, die die Finanzwelt in die Knie zwang. Vor allem für die Bank, die die Finanzkrise besser gemeistert hatte als alle anderen, ist das peinlich - und für Dimon, der sich deshalb lange als "König der Wall Street" und lautester Wortführer gegen alle die aufplusterte, die es wagten, die Unfehlbarkeit der Finanzbranche anzuzweifeln. Jetzt ergreift er selbst die Flucht nach vorne: "Wir stehen dumm da", murrt er. "Wir verdienen jede Kritik, die wir bekommen."

Das Debakel zieht den ganzen Konzern runter. Als Konsequenz der Zockerei macht allein die Corporate Group, das JPM-Kernunternehmen, im zweiten Quartal statt wie veranschlagt 200 Millionen Dollar Gewinn nun 800 Millionen Dollar Verlust. Doch auch das sind nur Schätzungen. Der wahre Schaden hängt von der Reaktion der Märkte ab und könnte, warnt Dimon, "leicht schlimmer werden". Im dritten Quartal könnte noch eine weitere Milliarde Dollar flöten gehen. Schon sackte die JPM-Aktie im nachbörslichen Handel um mehr als 6,7 Prozent ab - und mit ihr kippten auch die Kurse anderer US-Banken.

Doch noch etwas Beunruhigenderes enthüllt der Schock vom Donnerstag: Die hinter dem Desaster steckenden Geschäfte scheinen sogar für Dimon zu "komplex", und er selbst kann die wahren Verluste nicht exakt beziffern. "Damit wäre kristallklar", wettert der Börsenblogger und Ex-Trader Henry Blodget, "dass die Wall Street keine verdammte Ahnung hat, wie man Risiken abschätzt und managt". Und auf einmal stellt sich wieder die gleiche Frage, die sich nach der Krise stellte: Sind die Wall-Street-Riesen "too big to fail" - zu groß, um sich selbst überlassen werden zu dürfen?
Womit das Thema sogar in den Wahlkampf reingeraten könnte. Die Debatte um die Wall-Street-Aufsicht hat US-Präsident Barack Obama politisch schwer zu schaffen gemacht, schien aber eigentlich bis zur Wahl beigelegt. Zu früh: Die JPM-Verluste, sagte jetzt der demokratische Senator Carl Levin, erinnerten "krass daran, dass die Aufsichtsbehörden harte, effektive Richtlinien schaffen müssen".

Im Juli 2010 hatte der Kongress die große Finanzmarktreform verabschiedet - in entschärfter Form. Vor allem Derivate sind dabei relativ ungeschoren davongekommen. Teil dieses Gesetzespakets war die "Volcker-Regel", benannt nach dem Ex-Notenbankchef Paul Volcker. Demnach dürfen die Banken nicht länger auf eigenes Konto an den Kreditmärkten spekulieren. Die Regel ist aber bis heute nicht in Kraft und wird von der Wall-Street-Lobby weiter kritisiert, weil sie der Liquidität schade. Jamie Dimon ist sich der Ironie bewusst - er ist einer der schärfsten Kritiker der "Volcker-Regel". "Das spielt einem ganzen Haufen von Besserwissern da draußen in die Hand", sagt er nun. Er werde es verkraften: "So ist das Leben."

Quelle: Spiegel Online 

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Dienstag, 17. April 2012

Zeit für neuen Kapitalismus

Die Unsicherheit an den Finanzmärkten ist zurück - und zeigt vor allem eins: Immer mehr billiges Geld in die Wirtschaft zu pumpen, ist keine Lösung. Europa muss endlich einen Ausweg aus der selbstgestellten Falle finden. Ein Plädoyer für einen neuen Kapitalismus. Ein Kommentar von Henrik Müller, Mitglied der Chefredaktion des Manager Magazins.
Es war ein kurzer Frühling im Winter. Nachdem der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, am 8. Dezember die fast vollständige Öffnung der Liquiditätsschleusen verkündet hatte, entspannte sich die Lage an den Anleihemärkten vorübergehend. Die Zinsen sanken, finanziell bedrängte Staaten wie Italien und Spanien konnten neues Geld aufnehmen. Drei Monate dauerte die Entspannung. Jetzt ist die Krise zurück: Wieder steigen die Zinsen, die Ängste, die düsteren Vorhersagen, besonders in Spanien. Offenkundig hat es Europa mit einem Problem zu tun, das mit immer mehr Geld nicht zu lösen ist.
Immerhin ist die Draghi-Zentralbank an die Grenze ihrer Möglichkeiten gegangen. Eine Billion Euro zu Niedrigzinsen mit einer Laufzeit von drei Jahren hat die EZB den Kreditinstituten angeboten. Damit hat sie sich dem stillen Sturm auf die Banken in den beiden großen Südländern Italien und Spanien entgegengestellt. Inzwischen dürfen nationale Notenbanken selbst bestimmen, welche Sicherheiten sie akzeptieren. Mit anderen Worten: Die europäische Geldpolitik mag noch eine gemeinsame sein, aber sie ist keine einheitliche mehr. Nachhaltig geholfen hat die Operation nicht.
Wenn sich die Mitglieder des EZB-Rats in diesen Wochen zu ihrem üblichen informellen Abendessen treffen, dann stehen sie vor der Frage, was sie noch tun können. Abermals Staatsanleihen vom Markt kaufen, wie Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré bereits öffentlich erwogen hat? Noch mehr Liquidität in die Banken pumpen? Den Leitzins noch weiter Richtung Nulllinie senken?
Die EZB kann bloß Zeit kaufen
Mit solchen Maßnahmen kann die EZB den akuten Zusammenbruch einzelner Volkswirtschaften verhindern. Sie kann Zeit kaufen. Aber sie ist nicht in der Lage, die fundamentalen Probleme zu lösen. Nämlich:
  • Die hohen Schulden: Die öffentlichen und privaten Schulden sind in vielen Euro-Staaten so hoch, dass sie die Wirtschaft immer wieder ins Minus ziehen. Erst wenn ein nachhaltiger Abbau der Schulden auf den Weg gebracht ist, eröffnen sich Europa die Spielräume, seine weiteren Probleme zu lösen.
  • Die brüchige Verfassung: Die Währungsunion wird auf Dauer nur halten können, wenn sich die Euro-Zone zu den Vereinigten Staaten von Euro-Land weiterentwickelt.
  • Der fehlgeleitete Kapitalismus: In den vergangenen zwei Jahrzehnten degenerierte die westliche Wirtschaftsordnung in eine selbstzerstörerische Richtung. Dies ist ein Problem nicht nur Europas, sondern der gesamten westlichen Welt.
Fehlgeleitet war diese Wirtschaftsordnung, weil sie auf immer billigere Kredite und immer größere Kreditvolumina setzte. Diese Mittel flossen in den nuller Jahren immer weniger in produktive Investitionen; die Produktionskapazitäten wurden kaum ausgeweitet. Stattdessen stiegen die Preise für existierende Vermögensgüter - Firmen, Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Häuser - immer weiter in die Höhe.
Fatale Kettenbrief-Ökonomie
Mit anderen Worten: Existierende Vermögensgüter wurden zu immer höheren Preisen getauscht - Kettenbrief-Ökonomie nennt man das. In einigen Ländern setzten Baubooms ein, die die ganze Wirtschaftsstruktur verzerrten, Löhne nach oben trieben und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit schadeten. Im Euro-Land waren von dieser Entwicklung vor allem Spanien und Irland betroffen.
Fehlgeleitet war diese Wirtschaftsordnung auch, weil häufig nicht mehr die Frage im Vordergrund stand, ob eine ökonomische Aktivität eigentlich irgendwie nützlich sei: Machte sie das Leben von Menschen besser? Steigerte sie das Wohlergehen und den Wohlstand? Vielmehr ging es darum, Renditeerwartungen zu erfüllen, die zeitweise exzessiv waren.
Doch eine Wirtschaft, deren primäres Ziel es ist, eine möglichst hohe Kapitalverzinsung zu erwirtschaften, läuft in die Irre. Wer nur kurzfristig die Rendite erhöhen will, kann das tun, indem er beliebig die Kosten kürzt - bis das Unternehmen stirbt. Profit und Rendite zu erwirtschaften, kann nur eine Nebenbedingung einer nachhaltigen Wirtschaft sein, kein Selbstzweck.
Humankapitalismus statt Finanzkapitalismus
Mit den Ergebnissen dieser Fehlentwicklungen hat Europa heute zu kämpfen. Eine sinnentleerte Volkswirtschaft ist nicht mehr in der Lage, den Wohlstand zu mehren. Sie erstickt in ihren Schulden und geht unter. Herausfinden wird Europa aus dieser Lage nur, indem es die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Nur die Kreativität des menschlichen Geistes, der Neues ersinnt, wird die derzeitige Krise überwinden können.
Dementsprechend müssen sich Unternehmen und ganze Volkswirtschaften organisieren: Bildung, Kultur, kreative Freiräume - Humankapitalismus statt Finanzkapitalismus.
Es gibt immer wieder historische Phasen, in denen die Interessen der Kapitaleigner einseitig im Vordergrund stehen. Das ist der Fall, wenn der Produktionsfaktor Kapital knapp ist, weil die Märkte wachsen und die Kapazitäten ausgebaut werden. Das ganze System richtet sich dann am knappen Faktor Kapital aus. So war es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung den Bau immer größerer Fabriken antrieb und die rasche Verstädterung neue Ballungsräume entstehen ließ. So war es in den vergangenen beiden Jahrzehnten, als die Globalisierung die Weltmärkte öffnete.
In dieser Phase ging es darum, bestehende Geschäftsmodelle weltweit auszudehnen. Mit anderen Worten: immer mehr vom Gleichen zu produzieren. Beispiel Autoindustrie: Erst wurden neue Fabriken in Osteuropa gebaut, dann in Asien. Aber sie fertigen im Prinzip immer noch die gleichen Produkte.
Weltwirtschaft am Wendepunkt
Derzeit steht die Weltwirtschaft an einem Wendepunkt: Das bisherige Entwicklungsmodell hat sich totgelaufen - immer mehr vom Gleichen stößt irgendwann an Grenzen. Kein Wunder, dass auch in den Schwellenländern, sogar in China, das Wachstum abflaut. Jetzt bedarf es Innovationen, ohne die weiterer Fortschritt nicht stattfinden kann.
Der wirklich knappe Faktor ist nicht mehr Kapital, sondern Kreativität - Humankapital in seiner schönsten Form. Die derzeitige Krise wird der Westen nur überwinden können, wenn die freien Gesellschaften diese Knappheit überwinden lernen.
Immer mehr billiges Geld in die Wirtschaft zu pumpen, ist jedenfalls keine Lösung. Sollte Europa nicht in der Lage sein, sich aus der selbstgestellten Falle herauszuwinden, dann wäre das eine Blamage historischen Ausmaßes.
Gerade die aufstrebenden Länder Asiens und Lateinamerikas beobachten uns sehr genau. "Finden wir eine demokratische Lösung? Oder lassen wir alles in Staatsbankrotten und Inflation den Bach runtergehen?", sagte mir kürzlich ein Euro-Notenbanker. Wie viel sind Demokratie und Freiheit eigentlich wert, wenn die europäischen Kulturnationen keinen Ausweg aus der selbst gestellten Schuldenfalle finden?
"Derzeit", sagt er, "steht unser Modell auf dem Prüfstand."
Quelle: Spiegel Online

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Samstag, 14. April 2012

Wachstum statt Sparen

Der renommierte US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der unter anderem für seinen Einsatz für Entwicklungsländer und gegen die über Jahrzehnte verfehlte Strukturanpassungspolitik der Weltbank und des IWF berühmt geworden ist, ist der Süddeutschen Zeitung Red und Antwort gestanden. Joseph Stiglitz kritisiert in dem Interview die eiserne Sparpolitik der Euroländer. Der Kapitalismus hilft derzeit nur Wenigen: "Der Wohlstand wird ungleich verteilt, das Meiste geht an die Spitze, an der Basis bleibt wenig."




Joseph Stiglitz kritisiert in dem Interview die eiserne Sparpolitik der Euroländer. Stiglitz wörtlich: „Eine Überdosis Sparen macht alles nur schlimmer.“ Weltweit gebe es kein Beispiel dafür, dass Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen ein krankes Land genesen ließen, zitiert die Süddeutsche Zeitung. „Das ist wie im Mittelalter“, so Stiglitz, „Wenn der Patient starb, hieß es: Der Arzt hat den Aderlass zu früh beendet, es war noch etwas Blut in ihm.“ Mit diesem Rezept seien überschuldete Schwellenländer jahrzehntelang behandelt worden – mit fatalem Ergebnis. „Oft endete das tödlich.“

Getreu den Lehren des großen Ökonomen John Maynard Keynes favorisiert Stiglitz statt dessen antizyklische Investitionen, um das Wachstum zu stärken und aus der Krise herauszuwachsen, anstatt sich weiter hineinzusparen. Dies solle dann allerdings über höhere Steuern gegenfinanziert werden. Exemplarisch nannte er die von der Finanzlobby wie das Weihwasser gescheute Finanztransaktionssteuer (Einführung einer Mehrwert-/Umsatzsteuer auf Finanzprodukte), deren Einführung auf der Euroebene allerdings kürzlich erst an Bundesfinanzminister Schäuble gescheitert ist.

Exkurs: Deutschland ist dabei nicht das erste mal vor der Finanzlobby eingeknickt: Auch das internationale Abkommen zur Regulierung der Banken, Basel III, wurde auf Drängen des internationalen Bankenverbandes IIF unter dessen Chef Joseph Ackermann laut dem Wall Street Journal von den deutschen Unterhändlern verwässert

Ein weiteres Beispiel ist der ohne Not geringere Steuersatz in dem bilateralen Steuerabkommen mit der Schweiz, in dem Deutschland sogar den Zinssatz in dem Äquivalent zwischen Großbritannien und der Schweiz unterläuft, sowie noch deutlicher und gravierender unter der von der EU geforderten einheitlichen Quellensteuer mit der Schweiz liegt. Stiglitz fordert auch eine gemeinsame Haushaltsbehörde für den Euro-Raum, um die regionalen Unterschiede in der Wirtschaftskraft auszugleichen. Dies zielt in Richtung einer Transferunion, um strukturschwache Euro-Regionen zu fördern. Dies ist auch ein Seitenhieb gegen vorschnelle Erweiterungen der Eurozone in der jüngeren Vergangenheit, in deren Zug ärmere Regionen „aufgekauft“ werden konnten, anstatt sie zunächst an das Niveau der Kernländer heranzuführen.

Laut Stiglitz müssten sich Europa und die USA auf einen zunehmenden Machtverlust einstellen, während China und Indien in der Weltwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen würden. Damit würde laut Stiglitz allerdings nur eine „Anomalie der Geschichte korrigiert“ werden, die erst in den letzten 200 Jahren aufkam. Die Machtverschiebung werde allerdings nicht ohne Konflikte ablaufen: „Ich erwarte eine ganze Menge geopolitische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen. Man wird darüber streiten, wer die Geschicke der Welt lenkt.“

Am Ende des Interviews lieferte Stiglitz dann noch eine grundsätzliche Kapitalismuskritik: Der Kapitalismus in seiner derzeitigen Ausformung würde nur einem kleinen Teil der Menschen wirklich nutzen. „Der Wohlstand wird ungleich verteilt, das meiste geht an die Spitze, an der Basis bleibt wenig.“ Die Volkswirtschaften bräuchten „mehr Transparenz, mehr Einkommensgerechtigkeit und vor allem: mehr Moral“.

Mittwoch, 7. März 2012

Straubhaar weiss es besser

Gewöhnlich lehrt er Studenten und berät Politiker. In einem Interview richtet der Hamburger Professor Thomas Straubhaar nun harte Worte gegen seine eigenen Fachkollegen.

«Ich traue den alten Weisheiten nicht mehr»: Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts.

Zu dogmatisch, zu wenig interdisziplinär und zu wenig realitätsbezogen: Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, kritisiert in einem Interview mit der Zeitung «Financial Times Deutschland» (FTD) die Wirtschaftswissenschaften massiv. Straubhaar fordert von den führenden Köpfen der Disziplin, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Bereits im November hatte Straubhaar in einem FTD-Artikel ähnliche Forderungen gestellt.

Straubhaar zufolge hat das Ansehen der Ökonomie während und durch die Wirtschaftskrise drastisch nachgelassen. Laut dem Schweizer Ökonomen haben sich die Wirtschaftswissenschaften in den letzten Jahrzehnten auf «zu einfache Weisheiten» verlassen. Es sei deshalb für Ökonomen dringend an der Zeit, bescheidener zu werden. Von seinen Fachkollegen fordert Straubhaar, sich vermehrt mit Sozialwissenschaftlern, Ökologen, Historikern und Psychologen zusammenzutun. Nur so könnten die Wirtschaftswissenschaften in Zukunft einen Nutzen für die Politik erbringen. Schuld am Versagen der Ökonomie angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise sei der «Imperialismus der Ökonomen», so Straubhaar. Um die Lehre zu erneuern, müssten Wirtschaftswissenschaftler nun ihre Überheblichkeit ablegen.

Persönlich traue er den alten Weisheiten, dass Deregulierung immer besser sei, nicht mehr, sagt Straubhaar zudem im Interview. Die Kapitalmärkte hätten ein Eigenleben entwickelt, mit dem die Abläufe in der Realwirtschaft nicht mehr standhalten könnten. Straubhaars Äusserungen gegenüber der FTD erregen Aufsehen, gilt er doch als einer der renommiertesten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Im Gegensatz zu zahlreichen Wissenschaftlern aus der zweiten Reihe wagte es bislang noch kaum einer der Top-Ökonomen, mit Nachdruck einen wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmenwechsel zu fordern. Bei den Medien scheint Straubhaars Interview jedenfalls eingeschlagen zu haben: Wie Straubhaar gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet sagt, sei er am heutigen Publikationstag von Journalistenanfragen überhäuft worden.

Erstaunen bei den Medienleuten dürfte Straubhaar auch deshalb ausgelöst haben, weil er in den letzten Jahren nicht eben als Rebell unter den Ökonomen aufgefallen war. Es waren Leute wie der Brite Edward Fullbrook, die als wissenschaftliche Aussenseiter einen antidogmatischen Diskurs bereits vor der Finanzkrise vorangetrieben hatten. Amerikanische Wirtschaftler wie Paul Krugman oder Dani Rodrik standen ihnen als Professoren mit Lehrstühlen an Eliteuniversitäten dabei zur Seite. Dass nun auch Straubhaar in die Reihe der ökonomischen Mainstream-Kritiker tritt, mag als Opportunismus interpretiert werden. Springt Straubhaar mit seiner pointierten Kritik also auf einen fahrenden Zug auf? Sein Hamburger Institut ist jedenfalls auf Aufträge aus Politik und Wirtschaft angewiesen und muss am Puls der Zeit bleiben.

Der Ökonom selbst hält dies für eine «akademische Frage» und mag sich nicht weiter dazu äussern. Umso mehr betont er die Notwendigkeit eines Wandels: Die kritischen Stimmen seien vielleicht in der Mehrzahl, hätten aber in den Wissenschaften noch zu wenig Einfluss. Ein Wandel könne demgegenüber erst eintreten, wenn Lehrstühle konsequent durch unorthodoxe Ökonomen besetzt würden, so Straubhaar zu Tagesanzeiger.ch/Newsnet.

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnet

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Donnerstag, 12. Januar 2012

Ran an die Notenbanken

Zentralbanken sind in Bedrängnis, nicht nur bei uns. Konservative reden von einem sozialistischen Monster, Progressive rufen nach einer zinslosen Regionalwährung - eine Analyse des TA-Kolumnisten Philipp Löpfe.

Glänzt in der Krise wieder stärker: Das Goldlager der Zürcher Kantonalbank.

Glänzt in der Krise wieder stärker: Das Goldlager der Zürcher Kantonalbank. Bild: Keystone

Im Wirtschaftsteil der Zeitungen und Zeitschriften liest man immer wieder, die Notenbanken hätten «ihre Bilanz verlängert». Hinter diesem harmlosen Ausdruck verbirgt sich nichts anderes als die Tatsache, dass Notenbanken neues Geld geschaffen haben. Und zwar nicht zu knapp. Ob die amerikanische Notenbank Fed, die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Schweizerische Nationalbank (SNB): Alle haben sie ihre Geldmenge seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise vervielfacht. Was Laien unerklärlich oder unheimlich erscheint: Die Notenbanken können dieses neue Geld buchstäblich aus dem Nichts schöpfen. In der computerisierten Finanzwelt von heute müssen sie es nicht einmal mehr drucken. Ein einfacher Buchungssatz genügt. Deshalb spricht man auch von «Fiat-Money», nach dem lateinischen Ausdruck für: «Es geschehe.»

Dabei verlängern die Zentralbanken ihre Bilanzen nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie ihrer Rolle als Kreditgeberin in letzter Instanz Rechnung tragen müssen. Wenn eine Geschäftsbank pleite ist, wenn also ihre Vermögenswerte weniger wert sind als ihre Verpflichtungen, dann kann sie sich bei der Zentralbank neues Geld leihen. Amerikanische Immobilien- und Eurokrise haben dafür gesorgt, dass viele Geschäftsbanken auf diese Nothilfe angewiesen waren und teilweise immer noch sind.

Der rasante Zerfall der US-Immobilienpreise 2007 hatte zur Folge, dass die dazugehörenden verbrieften Hypotheken ebenso rasant an Wert verloren. Was einst eine todsichere Anlage war, wurde fast über Nacht zu einer Art Giftmüll. Viele Banken sassen damals jedoch auf Bergen dieser Papiere. Andere haben heute grosse Posten von Staatsanleihen europäischer Defizitsünder in ihren Büchern. Auch diese galten bis zur Eurokrise als sicher.

Doch inzwischen sind diese Staatsanleihen ebenfalls zu solchem Giftmüll geworden, denn es ist alles andere als sicher, dass sie je vollständig zurückbezahlt werden. Nun werden Banken, die de facto pleite sind, zu einer tickenden Zeitbombe. Sie können eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamte System zum Einsturz bringt. Um dies zu verhindern, haben die Zentralbanken als Kreditgeberinnen in letzter Instanz die toxisch gewordenen Wertpapiere gegen sichere eingetauscht – deutsche Staatsanleihen beispielsweise. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ebenfalls im grossen Stil Anleihen und Devisen gekauft, um so mehr Franken in Umlauf zu bringen und eine übermässige Aufwertung zu verhindern.

Als es noch einen Goldstandard gab, wäre eine solche Verlängerung der Bilanzen nicht möglich gewesen. Ein Goldstandard bedeutet nämlich: Die Zentralbank muss jederzeit die Landeswährung zu einem festen, nicht veränderbaren Kurs gegen Gold eintauschen. Gold ist nur begrenzt vorhanden und fälschungssicher, deshalb ist eine Ausweitung der Geldmenge in diesem System sehr mühsam. Unter dem Regime eines Goldstandards wäre es daher wahrscheinlich zu einem verheerenden Bankencrash gekommen, aber niemals zu einer Explosion der Staatsschulden.

Ron Paul ist einer der Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner. Seit Jahren führt er einen Kampf gegen das Fiat-Money. Lange galt er als politischer Aussenseiter, ja gar als Spinner. Seit ein paar Monaten ist er Kult und erzielt überraschend gute Resultate im Ausscheidungsrennen der Republikaner. Pauls politische Kernbotschaft ist stets dieselbe: Schafft die amerikanische Zentralbank ab! Sie ist in seinen Augen eine Art sozialistisches Monster geworden. «Stellt auch das Sowjetsystem, auf die Banken übertragen, vor, und ihr erhaltet das Fed», schreibt Paul in seinem Buch «End the Fed». Dank der Möglichkeit, Fiat-Money zu schöpfen, sei dieses sozialistische Monster mit einer unheimlichen Macht ausgestattet und eine Bedrohung für den einfachen Bürger geworden. «Das Fed ist verantwortlich für die Wirtschaftszyklen. Es ist verantwortlich für die Inflation, die Rezession, die Depression und die exzessiven Schulden», warnt Paul und folgert: Die Zentralbank muss ersetzt werden durch Privatgeld von Banken, die ihr Geld mit Gold absichern müssen.

Franz Hörmann ist Professor für Treuhand und Rechnungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien. Auch sein zusammen mit Otmar Pregetter verfasstes Buch «Das Ende des Geldes» gibt viel zu reden. Wie Paul rechnet Hörmann gnadenlos mit den Zentralbanken und dem Fiat-Money ab. Doch die Zentralbank ist für ihn kein sozialistisches Monster, sondern ein teuflisches Instrument des neuen Geldadels. Seine Diagnose: «Die Finanzindustrie hat längst die totale Macht. Die demokratisch gewählten Politiker hingegen regieren nicht mehr, sie reagieren nur noch.» Weshalb?

Unser Geldsystem hat eine verheerende Nebenwirkung: den Zinseszins. Er führt dazu, dass sich das Geldvermögen nicht linear entwickelt, sondern exponentiell. Die Wirkung ist die gleiche wie beim Märchen vom Höfling, der dem persischen König ein Schachbrett schenkte. Und sich als Gegenleistung auf dem ersten Feld ein Reiskorn wünschte und auf dem jeweils nächsten die doppelte Anzahl. Also 1, 2, 4, 8, 16 usw.

Lange geschieht nichts. Doch ab einem gewissen Punkt steigt die Kurve plötzlich steil an, und das System wird instabil. In der Natur führen exponentielle Entwicklungen zum Tod. Das zeigen wuchernde Krebszellen, die sich ebenfalls exponentiell vermehren. Auf die gleiche Weise führt beim Zinseszins die wachsende Schuldenlast ins Verderben. «Durch die Verschuldung der Haushalte bzw. der Staaten kommt es auch zu einer Versklavung sowohl grosser Teile der Bevölkerung als auch einzelner Länder», schreibt Franz Höfmann, «die sich nur durch einen Nachlass, durch Krieg oder durch Vernichtung der Vermögenswerte und ihren Neuaufbau davon befreien können.»

Das Fiat-Money der Zentralbanken führt so nicht zu einem sozialistischen Monster, sondern zu einer Art Geldkrebs. Wegen des durch den Zinseszins verursachten exponentiellen Wachstums der Schulden wird das System tödlich, sobald die Schuldenlast steil anzusteigen beginnt.

Die Lösung liegt folgerichtig nicht primär in der Abschaffung der Zentralbank, sondern des Zinses. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, doch es gab in der Geschichte der Menschheit immer wieder Geldsysteme ohne Zins. Und es gibt sie heute noch. Man spricht dabei von Regionalgeld oder Komplementärwährungen. In der Schweiz kennen wir das WIR-Geld – in Deutschland gibt es gar eine Art Mini-Boom von Regionalgeld. Das bekannteste Beispiel ist der Chiemgauer in Bayern.

Margrit Kennedy ist die führende Vertreterin der Regionalgeld-Bewegung Deutschlands. Sie hat soeben ein Büchlein mit dem Titel «Occupy Money» veröffentlicht. Das ist kein Zufall. Kennedy rechnet mit einem baldigen Kollaps des bestehenden Geldsystems. «Wer sich nur ein bisschen mit den Finanzmärkten beschäftigt, der weiss, dass die Staatsschulden in Europa nicht rückzahlbar sind», stellt sie fest. «Wann und in welcher Form eine Hyperinflation oder eine Währungsreform kommen wird, wissen wir nicht genau. Ich hoffe, dass wir bis dahin über ausreichend Rettungsboote in Form von Regionalwährungen verfügen, damit sie möglichst viele Menschen tragen.»

Konservative und progressive Kritiker der Zentralbanken machen sich auch bei uns bemerkbar. Die Bilanzverlängerung der Zentralbanken verunsichert die Menschen; die Angst vor Inflation und Hyperinflation wächst. In der jungen SVP gibt es bereits «Paulisten»: glühende Anhänger von Ron Paul und seinen Ideen. Der Bekannteste unter ihnen ist Nationalrat Lukas Reimann. Die SVP hat eine Liebe zum Gold. Sie liebäugelt mit einer Initiative, die verlangt, dass das Gold der SNB in der Schweiz aufbewahrt werden muss, und will neuerdings gar der Notenbank verbieten, Gold zu verkaufen.

Sobald das Wetter wärmer wird, dürfte sich auch die Occupy-Bewegung wieder verstärkt bemerkbar machen. Zinsloses Geld und ein bedingungsloses Grundeinkommen werden dabei wahrscheinlich zu den zentralen Anliegen avancieren. Zinsloses Geld hat in der Schweiz eine lange Tradition. Und diese wird wiederbelebt. Kürzlich ist ein Verein mit dem Namen Monetäre Modernisierung (MoMo) gegründet worden. Er will eine Volksinitiative lancieren, die das Vollgeld verlangt und den normalen Geschäftsbanken das Schöpfen von Fiat-Money verbieten will. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass rund um die SNB bald wieder Ruhe einkehren wird. Der politische Kampf um die Zentralbank hat erst begonnen.

Quelle: Tages-Anzeiger

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