Montag, 19. Oktober 2009

Vor nächster Krise

Der Mikrokredit-Banker Mohammed Yunus hat den Mangel grundlegender Reformen im Bankensektor infolge der Finanzkrise angeprangert.

«Mängel wurden nicht beseitigt». Die Welt habe eine goldene Gelegenheit verpasst, den Ärmsten der Armen durch einen Umbau des Finanzsystems nach der Krise zu helfen, kritisierte Mohammed Yunus, der «Vater der Mikrokredite» im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Yunus (siehe Bild) wird demnächst wieder in Europa auftreten, unter anderem am Vision Summit in Berlin von anfangs November). Dort werden die Möglichkeiten des Social Business erörtert.

«Die nächste Krise wird nicht auf sich warten lassen, weil bestehende Mängel nicht beseitigt wurden», warnte der 69-Jährige. Yunus, der mit seiner Grameen-Bank 2006 den Nobelpreis erhielt, ist ein entschiedener Kritiker des derzeitigen Finanz- und Bankenwesens, das seiner Ansicht nach Menschen willentlich ausschliesst. Er plädiert für ein gerechteres, integrativeres weltweites Bankwesen - ein System, das auch den Armen Kredite bewilligt, obwohl diese keine grossen Sicherheiten anzubieten haben. Dazu sei ein System-Umbau nötig, sagte Yunus. «Jeder Mensch auf der Welt hätte dann einen unkomplizierten Zugang zu diesem System.» Seine Grameen- Bank habe bewiesen, dass dies möglich sei.

Yunus hatte im Jahr 1976 mit einem Mini-Kredit von 27 Dollar an eine Gruppe von Dorfbewohnerinnen aus Bangladesch die Grameen-Bank begründet, die inzwischen ein milliardenschweres Mikrokreditsystem aufgebaut hat. Der Bank-Experte fordert, dass, abgesehen von einem gerechteren Bankwesen, sichergestellt werden müsse, dass Steuerzahler nie wieder für die Fehler der Banken geradestehen müssen.

In der Geschäftswelt müsse es künftig stärker um soziale Belange gehen als bisher, verlangte Yunus. Die blinde Jagd nach mehr Profit dürfe nicht mehr im Zentrum stehen. Yunus verteidigte zugleich seine Mikrofinanz-Prinzipien, die einige Kritiker wegen der hohen Zinsen unter Beschuss genommen hatten. Ihrer Ansicht nach können die Kreditnehmer dadurch in eine regelrechte Verschuldungsspirale geraten. Yunus betonte, der Begriff Mikrokredit sei zu einem Modewort geworden, nicht immer sei mit etwas, das sogenannt würde, auch tatsächlich ein echter Mikrokredit gemeint.


© Oekonomedia / Quelle: SDA

Dienstag, 13. Oktober 2009

Ökonomin ist die Beste!

Elinor Ostrom ist die erste Frau, die den Nobelpreis für Wirtschaft erhält. Aus gutem Grund: Die US-Forscherin ist der Frage nachgegangen, wie sich knappe Ressourcen am besten verteilen lassen - eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.

Leidenschaftlich, humorvoll, unkompliziert - so haben die Teilnehmer der "Summer School" die Wissenschaftlerin von einem ihrer Auftritte in Deutschland noch heute in Erinnerung. Die temperamentvolle und herzliche Mittsiebzigerin, von deren Expertise alle beeindruckt waren, durfte jeder ganz selbstverständlich "Lin" nennen. "Damals dachte ich: 'Wenn endlich mal eine Frau den Nobelpreis gewinnt, dann wird das Ostrom sein'", sagt der Ökonom Michael Wohlgemuth, der am Freiburger Walter-Eucken-Institut forscht. Er sollte recht behalten: Es hat lange gedauert, aber bei der 41. Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften kam erstmals eine Frau zum Zuge. Zusammen mit dem ebenfalls aus den USA stammenden Ökonomen und Rechtswissenschaftler Oliver Williamson wurde er Ostrom am Montag zugesprochen.

Ostrom repräsentiert so etwas wie die "Neue Mitte" der Wirtschaftswissenschaften. Sie lässt sich weder der klassisch-verbalen Ausrichtung zuordnen, die stets die praktische Relevanz der Forschung für die Politik im Blick hat, noch allein auf die mathematisch-präzise Ökonomie reduzieren, die das Geschehen der Welt vornehmlich in sperrige Formeln presst. Dass Ostrom ideologisch nicht festgefahren ist, also mehr die Grautöne ihrer Disziplin vertritt als ein Schwarzweiß-Schema zu repräsentieren, liegt wohl auch daran, dass sie ausgebildete Politikwissenschaftlerin ist. 1965 machte Ostrom ihren Doktor an der University of California in Los Angeles und wechselte danach zur Indiana University in Bloomington. Ein Ort, an dem sie sich zur Grenzgängerin zwischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften entwickelte - und an dem sie noch immer aktiv ist.

"Lin ist eine echte Wissenschaftlerin, die vor allem die Frage umtreibt, warum etwas so ist, wie es ist", sagt Claudia Keser, Ökonomin an der Universität Göttingen, die Ostrom aus der Forschung kennt. Angesichts dieser unprätentiösen Grundhaltung passt es, dass Ostrom fast nie die Öffentlichkeit sucht - und schon gar nicht zwanghaft versucht, Gehör zu finden. Und das ausgesprochen erfolgreich: Trotz ihres Wirkens im Hintergrund hat sie sich über die Jahrzehnte zu einer der renommiertesten Umweltökonomen entwickelt. Vor allem, weil sie der Frage nachgegangen ist, wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzern erfolgreich verwaltet werden kann. Was nach einer eher bürokratischen Problematik klingt, ist eine der spannendsten Herausforderungen der Gegenwart. Denn dahinter steckt nicht weniger als die Frage, wie knappe Ressourcen am besten genutzt werden.

In der Wissenschaft sind die Güter, bei denen eine Rivalität zwischen den Nutzern besteht, aber niemand von der Nutzung wirklich ausgeschlossen werden kann, als Allmende-Güter bekannt. Das Problem daran lässt sich am Phänomen der Überfischung leicht skizzieren: Zwar ist jedem Fischer, der halbwegs bei Sinnen ist, bewusst, dass er durch Überfischung seinen Job riskiert. Trotzdem handelt er rational, wenn er mit möglichst vielen Booten aufs Meer fährt. Denn was er nicht im Netz hat, holt sich die Konkurrenz. Mit anderen Worten: Es ist für jeden Einzelnen rational, wenn er aus Sicht der Gemeinschaft irrational handelt. Zumindest dann, wenn es kein klares Regelwerk gibt. Das gilt nicht nur bei der Fischerei, auf Kuhweiden in den Bergen und beim Wasserverbrauch. Auch bei der Suche nach wirksamen Mechanismen gegen den Klimawandel ist das Phänomen zu beobachten.

Ostrom ist deshalb der Frage nachgegangen, welcher Regeln es bedarf, damit es nicht zur Übernutzung von Ressourcen und somit auch zur Selbstschädigung aller kommt. Dazu hat sie sich jedoch nicht in ihrem wissenschaftlichen Elfenbeinturm verkrochen, sondern unter anderem Almbauern und Fischer in aller Welt besucht, die zum Teil seit einer gefühlten Ewigkeit funktionierende Vereinbarungen zur Lösung des Allmende-Dilemmas getroffen haben.

Die Prinzipien, die Ostrom herausgearbeitet hat - unter anderen müssen alle Betroffenen bei der Festlegung der Regeln mitwirken, die Vereinbarungen müssen klar sein, ihre Einhaltung muss überwacht und Fehlverhalten sanktioniert werden - ist damit das Ergebnis umfangreicher Feldforschung. Diese hat sie später noch durch experimentelle Forschung ergänzt - dabei wurde sie vor allem von Reinhard Selten inspiriert, der 1994 für seine Erkenntnisse in der Spieltheorie als bislang letzter Deutscher mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Ein Beispiel, wie sich das Dilemma der Überfischung lösen lässt, gibt es in der Türkei: In der Türkei haben Fischer eine Art Kooperative gegründet, in der jeder einen bestimmten Meeresabschnitt zugeteilt bekommt. Weil die Bereiche unterschiedlich attraktiv sind, rotieren die jeweiligen Seegebiete zwischen den Betroffenen. So bekommt jeder eine faire Chance - und gleichzeitig werden alle Fischer von ihren Konkurrenten überwacht.

Wie das Beispiel zeigt, ist Ostrom in ihrer praxisorientierten Forschung auch zu der Erkenntnis gekommen, dass die Menschen vor Ort oft die besten Lösungen für ihre Probleme finden. Damit hat die Wissenschaftlerin nachgewiesen, dass weder der Staat noch der Markt - wie es viele ihrer Kollegen behaupten - in der Regel zu den besten Ergebnissen führt. Ostrom versteift sich nicht in der Feststellung, dass die Betroffenen immer die beste Lösung für ihr Problem sind. Da ist sie in ihrer Ideologiefreiheit konsequent. Sie geht vielmehr vorurteilsfrei der Frage nach, wann welche Lösung wirklich die beste ist.

Quelle: Spiegel Online