Montag, 1. Februar 2010

De Wecks neues Gleichgewicht

Der Kapitalismus brauche eine Gegenkraft in Gestalt eines starken Staats, sagt Buchautor und Journalist Roger de Weck im Interview des Nachhaltigkeitsportals. Dieser Staat müsse eine vernünftige Marktordnung durchsetzen, denn letztlich seien es die natürlichen Ressourcen, die uns allen Grenzen setzten.

Urs Fitze (Nachhaltigkeitsportal): Das Ende des Kommunismus vor zwei Jahrzehnten wurde als endgültiger Sieg des Kapitalismus gefeiert. Jetzt stecken wir in der Krise. Was ist schief gelaufen?

Roger de Weck: Sein Triumph ist dem Kapitalismus schlecht bekommen. Er baut auf den Gedanken des Wettbewerbs, der die Welt voranbringe, aber er selbst hat keinen Wettbewerber mehr. Die Oberschicht muss nicht länger fürchten, dass unzufriedene Bürger „zu den Kommunisten überlaufen“. So fehlt der Antrieb, für eine gleichgewichtige Gesellschaft zu sorgen. Die Folge ist, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitert. Vor 1989 war es undenkbar, einen Arbeitnehmer zwei Jahre vor seiner Pensionierung zu entlassen – auch wenn es die Gesetze zuliessen. Heute sind solche Kündigungen üblich. Überdies hat die Globalisierung den Wettbewerb verhärtet, er wurde rücksichtslos.
Urs Fitze:Wirtschaftsführer und Politiker führen gern ins Feld, die rücksichtslose Globalisierung zwinge sie zur Anpassung. Was halten Sie davon?
Roger de Weck: Die Globalisierung ist kein Naturereignis. Sie ist von Menschen gemacht. Am Anfang stand die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Seither fliesst Geld ungehindert dorthin, wo am meisten Gewinn winkt. Viel weniger mobil sind die Arbeitskräfte. Das steigert massiv die Macht der Kapitalgeber gegenüber den Arbeitnehmern. Und weil das Kapital auch dorthin schnellt, wo es am wenigsten besteuert wird, stehen die Staaten unter Zugzwang, die Steuern auf das Kapital zu minimieren. Das ist eine weitere Privilegierung des Kapitals. Gegen die Globalisierung habe ich nichts, aber sie sollte bewusst gestaltet werden.

Man hat das meiste, was Roger de Weck in seinem Buch vorträgt, schon gelesen. Aber es trifft den Puls einer Gesellschaft im Wandel. De Wecks Liberalismus ist ein Plädoyer für einen Kapitalismus, der sich am Gemeinwohl orientiert.

Roger de Weck. Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus? Verlag Nagel & Kimche. 17.90


Urs Fitze:Hat der Kapitalismus in den vergangenen 20 Jahren sein wahres Gesicht gezeigt?
Roger de Weck: Er hat hundert Gesichter, die Spanne reicht vom diktatorischen Staatskapitalismus in China bis zum sozialen Kapitalismus Skandinaviens. Gemeinsam ist allen die Vorstellung, dass es vor allem auf den Gewinn ankomme. Dabei liegt die eigentliche Aufgabe der Unternehmen darin, Güter zu erzeugen und Leistungen zu erbringen. Wenn die Maximierung der Rendite wichtiger wird als alles andere, gerät der Kapitalismus aus dem Lot. Dieses System, das unser Leben prägt, entfaltet eine ungeheure Kraft. Es gilt, sie zu bändigen. Der Markt bedarf einer Marktordnung, er braucht Regeln und einen Staat, der diese Regeln durchzusetzen weiss. Wenn die New Yorker Wall Street und die Zürcher Bahnhofstrasse das Sagen haben, läuft es aus dem Ruder. Wir brauchen keine liebesdienerischen Regierungen. Wir brauchen Politiker, die den Wirtschaftsführern auch einmal sagen: So nicht! Es ist wirtschaftsfreundlich, die Wirtschaft vor ihrem Hang zu Exzessen zu bewahren.
Urs Fitze:Braucht der Kapitalismus wieder ein Gegengewicht, wie es der Kommunismus war?
Roger de Weck: Gottlob sind die stalinistischen Regimes untergegangen. Umso stärker brauchen wir Gegenkräfte innerhalb des Systems, um seine Auswüchse zu verhindern.
Urs Fitze:Sie schreiben in Ihrem Buch „Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus?“ von Gier als Triebfeder, die zur Krise geführt hat. Ist Gier nicht Teil des kapitalistischen Systems?
Roger de Weck: Der Kapitalismus lebt vom Eigennutz, Gier aber ist ungezügelter Eigennutz. Erst in den vergangenen drei Jahrzehnten ist der Eigennutz vollends zur Gier ausgeartet – weil er zur Ideologie erhoben worden war. Eigennütziges Verhalten diene von vornherein der Allgemeinheit, hiess es, der Markt sei eine moralische Anstalt. Das war eine Lebenslüge. Was gut war für die UBS-Manager, war schlecht für die Schweiz.
Urs Fitze:Der Kapitalismus habe die Züge einer Religion angenommen, argumentieren sie weiter. Ist eine Religion fähig zur Reform?

Roger de Weck: Luther, Calvin und Zwingli haben das Christentum reformiert. Auch der Kapitalismus kann sich erneuern. In den 1970er Jahren war er gleichgewichtiger als heute. Er kann es wieder werden. Ich bin zwar illusionslos, aber hoffnungsfroh. Sonst hätte ich das Buch nicht geschrieben.
Urs Fitze:Sie verlangen eine öko-soziale Marktwirtschaft. Was verstehen Sie darunter?
Roger de Weck: Eine Marktwirtschaft, in welcher der Staat nicht einfach Spital und Reparaturwerkstatt ist. Die Marktwirtschaft braucht einen starken Staat, der das Verursacherprinzip durchzusetzen vermag. Riesenkonzerne, die auf keinen Fall konkurs gehen dürfen, weil es die Volkswirtschaft zerrütten würde, geniessen faktisch eine Staatsgarantie. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, dafür sollen sie eine angemessene Gebühr zahlen. Gehen sie irrwitzige Risiken ein, muss ihnen der Staat als „Versicherer“ prohibitiv hohe Gebühren abverlangen. Überdies muss die Staatengemeinschaft nach und nach dafür sorgen, dass die Preise die Kosten des Naturverbrauchs enthalten. Dann werden etwa die Frachtkosten steigen und wird der Unsinn aufhören, dass wir Lamm aus Neuseeland einführen, statt wunderbares Lammfleisch aus dem Unterengadin zu essen.
Urs Fitze:Sehen Sie Ansätze zu einer solchen Wende im Kapitalismus?
Roger de Weck: Durchaus. Es sind letztlich die natürlichen Ressourcen, die unser aller Tun und Lassen begrenzen. Werden sie knapp, lautet die Alternative: Kooperation oder Krieg. Ich baue darauf, dass die Staatenwelt sich für Erstere entscheidet und einen Weg findet, die noch vorhanden Ressourcen gerecht zu teilen.
Die Gruppe der zwanzig grössten Staaten – so zaghaft diese G-20 agieren mag – sucht nach gemeinsamen Lösungen. Im 19. Jahrhundert wäre es längst zum Aufprall der Nationen und zum Krieg gekommen.
Urs Fitze:Sehen Sie auch eine moralische Wende in den Köpfen: die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann?
Roger de Weck: Ich glaube weniger an die Kraft der Moral als an straffe Regeln. Was wir brauchen, ist ein neues Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen Eigennutz und Gemeinsinn, zwischen Nord und Süd.

Quelle: nachhaltigkeit.org - 1. Februar 2010

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